Tbilisi!

Georgien
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Autor:in

žuk

Veröffentlichungsdatum

2. Oktober 2024

Es ist so viel passiert, ich bin nicht so richtig hinterhergekommen.

Am 20.09. haben mich Mariam und ihr Bruder Tornike, die Kinder von Zaleko (z im Sinne eines stimmhaften S’), dem Cousin von Lewan, an einer Tankstelle abgeholt. Meine Güte, Tbilissi hat wirklich viel Verkehr! Autos, Autos, Autos und Autos. Hier fährt man wohl gar nicht Fahrrad. Dadurch gibt es viel Stau und man braucht sehr lange mit dem Auto. So auch wir. Bei Mariams Familie werde ich sehr herzlich aufgenommen, es gibt etwas zu essen, Khachapuri und anderes, dessen Namen ich mir nicht gemerkt habe. Khachapuri ist so eine Art Teigtasche mit Käse drinnen. Das Wort ist wohl eine Mischung aus „Brot“ und „Käse“. Wir unterhalten uns und lernen uns kennen. Ich kann wohl die erste Zeit jetzt hier wohnen. Morgen zeigt mir Mariam die Universität. Sie ist 21 und studiert auch an der TSU, ich glaube BWL. Und sie möchte ihren Master in Deutschland machen. Insofern lustig, dass ich jetzt in Georgien bin und sie dann später wahrscheinlich in Deutschland.

Nach dem nächsten Tag bin ich sehr erschöpft. Mir wurde die nähere Umgebung hier gezeigt – wir befinden uns in Saburtalo, das ist ganz im Westen von Tbilisi. Ich hab immer noch keine Informationen von der TSU, wann und wo meine Kurse sind, die Montag vermutlich schon starten. Zaleko hat mir ein Appartment gesucht, wo ich wohnen könnte, das ist eine Ein-Zimmer-Wohnung. Ein Schlafzimmer und eine Küche und dann noch Bad. Das ist hier direkt in der Nähe. Wegstrecke zu meinem Campus unklar (mittlerweile weiß ich: mindestens 30 Minuten, eher 45). Kosten: 350€. Die sagen, das geht in Ordnung, ich finde es recht viel – das ist mehr als ich in Marburg zahle. Aber ich hab auch gehört, dass diese Preisgegend hier nicht unüblich ist. Ich weiß nicht genau, ob ich nicht lieber mit anderen zusammenleben würde, um einfach alltäglichen gemeinsamen Kontakt zu haben. Eigentlich auf jeden Fall schon. Aber ich weiß auch nicht, wie ich da rankommen soll, WGs scheinen hier nicht so üblich zu sein.

Georgien Legenden (schwarz) vs. AC Milan Legenden (weiß).

Am Abend war ich sehr spontan bei einem Fußballspiel im kleineren der beiden Stadien von Tbilisi mit einem Freund von Mariam. Es spielen die Georgischen Legenden gegen die AC-Mailand-Legenden inklusive Kaká. Es ist sehr lustig. Wir kommen 20 Minuten wegen des Staus zu spät, gefühlt 50 % der Zuschauer*innen ebenfalls. Das Spiel endet nach 75 Minuten (Halbzeit nach 40 Minuten – wild) 2:2, das Elfmeterschießen entscheidet Milan 3:1 für sich. Im Anschluss gibt es einen Platzsturm – alle wollen offenbar Kaká-Autogramme (der ist aber recht schnell in die Kabine geflüchtet).

Nach dem Elfmeterschießen gab es einen Platzsturm zahlreicher Fans.

Ich war auch dabei ;).

Montag war ich dann mit Mariam zum ersten Mal in der Uni. Es hat recht lang gedauert, man meldet sich per E-Mail bei den Dozent*innen für Veranstaltungen an, einen Studentenausweis gibt es inklusive Bankkarte (zwei in eins) erst ab dem 07.10. für Austauschstudierende. Wo und wann die Kurse stattfinden muss ich ebenfalls einzeln nachfragen. Wie anstrengend. Ich bin offenbar etwas spät dran, weil die Schriftfarbe der E-Mails der Professor*innen in der Excel-Tabelle, die wir bekommen haben, quasi weiß war und ich deswegen nicht gecheckt habe, dass da E-Mail-Adressen drin stehen. Etwas ärgerlich. Zurück bei Zaleko schreibe ich alle an und bekomme nach und nach Antworten. Viele Kurse haben schon angefangen und ich verpasse dadurch die erste Sitzung.

Offenbar ist es hier absolut üblich (von Deutschland kenne ich das nicht so sehr, aber auch), erst einmal alles zu wählen, was man bekommt und dann ggf. nochmal auszusortieren. Das habe ich jetzt auch verstanden und da ich ja nur 8 LPs dieses Semester mache, habe ich sowieso eine recht komfortable Ausgangslage.

By the way: Von deutschen Medien weitestgehend unbeachtet hat das Parlament das Anti-LGBTQ*-Gesetz angenommen.1 Von einer queer-progressiven Gesetzeslage entwickelt sich Georgien damit eindeutig Richtung Russland. Am 26.10. sind Wahlen, ich bin sehr gespannt, was passiert. Vor allem, weil im Stadtbild (und auch schon auf meiner Reise nach Tbilisi selbst) ein deutliches Übergewicht an Wahlwerbung für den „Georgischen Traum“, die Regierungspartei des Oligarchen Iwanischvili, zu erkennen ist.

Am Dienstagabend tauschen wir einige Lieder aus, es ist richtig toll. Ich spiele ein paar deutsche Volkslieder auf der Gitarre, Zaleko und Yana (seine Frau) ein paar georgische. Und wir schauen uns einen Auftritt des Nationalballetts auf YouTube an (sehr zu empfehlen!).2

Unterwegs in Tbilisi.

Wie in „Gondola“, nur etwas voller.

In diesem Stadion war ich am Samstag. Es fasst 30.000 Zuschauer*innen (das Nationalstadion 60.000) und demnächst spielt die georgische Nationalmannschaft gegen Albanien dort. Zaleko will über Beziehungen noch an Karten kommen, denn das Spiel war nach wenigen Minuten ausverkauft.

Mittwoch war ich mit einigen Leuten vom Erasmus Student Network (ESN) etwas wandern. Wir haben die kleine, sehr süße Seilbahn hoch zum Turtle Lake genommen – die übrigens exakt genauso aussieht wie diese Seilbahn aus dem Film „Gondola“, eine deutsch-georgische Koproduktion, die dieses Jahr in die Kinos kam und absolut großartig und sehenswert ist (fragt Nele, Heinrich, Anja oder Angela, die können das alle bezeugen!). Ein Film, der ganz ohne Worte auskommt und ein künstlerisches Meisterwerk ist (und queer noch dazu). Vom Turtle Lake wandern wir zum Mtazminda Park, einem Freizeit-Park. Ich lerne ein paar coole deutsche Austauschstudierende kennen und auch Polen, Belgier, Ukrainer,… Aber eigentlich ist meine Social Battery ziemlich aufgebraucht, weswegen ich mich irgendwann etwas zurückziehe. Mit drei anderen Erasmus-Deutschen esse ich abends noch in einem netten Thai-Restaurant in der Altstadt (sehr tolles Essen!).

Eine Gondel.

Sogar Fahrräder können mitgenommen werden. Es gibt dort eine Mountainbike-Strecke nach unten, deswegen machen das vermutlich öfter Menschen.

Donnerstag war mein erster Uni-Kurs. Ehrlich gesagt war der ziemlich furchtbar: Ich habe fast nichts verstanden, weil der Dozent recht ungewohntes Englisch gesprochen hat und der Raum unglaublich hallig war und generell ein gegenseitiges (akustisches) Verstehen nicht begünstigt hat. Das war eher ein Downer.

Das ist Tbilisi von oben, eher die neuere Stadt. Saburtalo ist ganz im Westen und nicht so richtig drauf, sondern schließt sich links an das Viertel Vake an.

Hier sieht man etwas mehr Altstadt. Das Gebäude in der Mitte des Bildes ist der ehemalige Präsidentenpalast (erbaut in der Saakaschwili-Zeit), der heute Zeremoniengebäude ist. Die CDU hat den in einem Imagefilm tatsächlich mal mit dem Reichstagsgebäude verwechselt. Einfach mal googeln, ist sehr witzig.

Am Samstag hatte Nele Geburtstag und wir haben videotelefoniert und quasi reingefeiert, waren aber beide (vor allem ich) wirklich sehr doll müde. Aber es war trotzdem sehr schön. Wir haben recht viel telefoniert in diesen ersten Tbilisi-Tagen und wir haben angefangen, zusammen online etwas zu spielen und das war sehr toll. Nele hat unter anderem von mir das Buch „Shitmoves“ bekommen von Matthias Renger und Iris Gavric, die den Podcast „Couple Of“3 zusammen machen. Falls ihr eine wissenswerte und zugleich unterhaltsame Buchempfehlung braucht: voilà. Die haben auch einen sehr tollen Instagram-Kanal, der sich sehr lohnt.

Das ist ჯუთა (Juta, sprich: Džuta), ein kleines Dorf am Rande der georgischen Heerstraße, der einzigen Straßenverbindung zu Russland.

Auf dieses Massiv wanderten wir zu. Ganz rechts die Spitze müsste Javakhishvili (ჯავახიშვილი) heißen (3.733 m), so wie meine Universität (nach kurzer Recherche handelt es sich allerdings um ein Adelshaus). Die höchste Spitze ist der Asatiani mit 3.843 Metern.

Am Sonntag war ich dann auf einer Tour: Ich bin auf dem Weg nach Juta (ჯუთა). Ich hab mich mit anderen ESN-Menschen (die ich nicht kenne) für eine Tour angemeldet. 12km Wandern. Mehr hat mich gar nicht interessiert, Hauptsache Wandern und Menschen mit potentiellem Bezug. Juta (ჯუთა) ist wirklich weit von Tbilisi, Nähe Kasbek. Ich bin heute um 5.30 Uhr aufgestanden, 7.00 Uhr war Abfahrt. Es ist ein Bus, wie man ihn von den Marshrutkas kennt, die Tour ist geführt. Nach Juta (ჯუთა) war es ein Stückchen, dann ging es weiter in Richtung eines Sees, entlang eines Flusses. Insgesamt knapp 14km und 600 Höhenmeter rauf und wieder runter. Es war alles sehr toll, zwei andere Deutsche, eine Schwedin, eine Polin und viele Georgier*innen waren dabei, insgesamt etwas mehr als 20 Menschen. Bilder folgen…4

Einfach schön.

Laut meinem Reiseführer leben in ჯუთა immer noch 20 Menschen ganzjährig. Verständlich, dass es auch einen Spielplatz mitten auf einem Bergplateau gibt.

Eine Gaststätte mit etwas Blick ins Tal.

Ab und an ein paar Alpen-Flashbacks – was vor allem an der Hochgebirgsvegetation liegen dürfte. Höhe: ca. 2.400 Meter.

Ein Bächlein ist unser ständiger Begleiter. Der Gletscher, der zu sehen ist, war früher deutlich größer.

Dieser See ist unser Ziel, wir machen eine lange Rast dort. Allerdings ist er tatsächlich künstlich angelegt (ein künstlicher Bachlauf wurde von dem eigentlichen Bach abgezweigt, sodass dieser See entstehen konnte): Sein Zweck ist, die Pferde (und vermutlich auch andere Nutztiere) mit Trinkwasser zu versorgen.

Ein Blick zurück…

Das Bergmassiv in der Nachmittagssonne.

Man konnte tatsächlich hoch und runter reiten.

Hallo!

Jetzt sitzen wir im Bus, bestimmt noch zwei bis drei Stunden vor Tbilisi (თბილისი) und es geht nicht voran, Stau auf der Straße, mitten in den Bergen. Wenigstens ist mir mittlerweile warm. Unser Busfahrer hat rausgefunden, was passiert ist: Ein Auto mit Kognak ist verunglückt. Der Witz, dass jetzt vielleicht alle vorne trinken und es deswegen Stau gibt, bleibt uns im Halse stecken, als wir hören, dass der Fahrer gestorben ist. Es ist ungewiss, wann es weitergeht.

Ein Turm und im Hintergrund: der Kasbek (Kazbegi, ყაზბეგი). Falls der euch bekannt vorkommt: Prometheus soll an diesen Berg (5.054 m) gekettet gewesen sein. Und vielleicht kennt ihr ja das „Lied der Georgier“ und die Verse: „Wo im ewgen Schnee stolz der Kasbek thront, hat im stillen Tal einst mein Ahn gewohnt.“

Spoiler: Es ging irgendwann weiter und am Montag hatte ich dann meine nächsten Kurse: „Georgian Language“ und „Effects of social media use“. Vor allem letzteres hat mich sehr begeistert, die Dozentin wirkt sehr toll. Und im Anschluss habe ich eine deutsche queere Person, Eliyan, kennengelernt und wir haben sehr lange gequatscht und es war richtig schön. Ein sehr großer Lichtblick aus diesem Anfangschaos.

Und damit verabschiede ich mich erstmal wieder, mal sehen, wann es weiter geht. In den letzten Wochen ist ganz schön viel passiert und es war gar nicht so einfach, das alles noch ganz gut zusammenzufassen. Ich sende euch ganz viele liebe Grüße aus dem fernen Georgien! žuk.