Zwischen Zerstreuung und Herzschmerz

Georgien
News
Autor:in

žuk

Veröffentlichungsdatum

28. November 2024

Die letzten Wochen waren sehr lang für mich. Es fühlt sich eher an wie Monate. Ich bin jetzt etwas länger als zwei Monate hier, aber es fühlt sich an, als wäre schon so viel mehr Zeit vergangen. Es hat sich viel getan in den wenigen letzten Wochen und gleichzeitig auch nicht. Aber eins nach dem anderen…

Ah, und ein wichtiger Hinweis:

Wichtig

Falls ihr mir Post schickt, sagt mir bitte spätestens eine Woche, nachdem ihr sie abgeschickt habt, dass ihr was geschickt habt. Das mit dem Empfangen ist leider gar nicht so einfach und dann weiß ich zumindest, dass ich suchen muss 😉.

Hinweis

Ich werde nun doch über Weihnachten nach Hause fliegen, wodurch ich ab dem 18. in Deutschland bin. Falls ich jemandem eine Panduri mitbringen soll, gäbe es dazu jetzt eine Gelegenheit.

Beim Trödeln durch Tbilisi habe ich dieses Auto entdeckt. Sehr bezeichnend. Und ja, „georgisch“ Auto fahren ist etwas sehr spezielles…

Seit der Parlamentswahl gab es mittlerweile auch mal größere Proteste, auch wenn die sich nach wie vor hinsichtlich Teilnehmer*innen wohl in Grenzen halten. Die letzten beiden Wochen sind einige Univeranstaltungen von mir ausgefallen, weil die Straßen mit Protestcamps blockiert wurden. Anlass war die Bestätigung der Wahl durch die Wahlkommission sowie die konstituierende Sitzung des Parlaments, die ohne die Opposition stattfand, da diese die Sitzung boykottierte.

Vorm Parlament fordern Menschen die Freilassung des ehemaligen Präsidenten Saakashvilis (სააკაშვილის). Und ja, dieser gut bewachte Klotz im Hintergrund ist das Parlament. Ehrlich gesagt verstehe ich jetzt erst, warum der Deutsche Bundestag als ein so offenes Parlament gilt… Der Eingang hier ist einfach eine Mauer bzw. eine Stahlwand oder so.

Medien sind auch am Start.

Beeindrucken lässt sich die Regierung von den Protesten übrigens (bisher) nicht.

Die Protestcamps, die eine der wichtigsten Verkehrsstraßen blockierten, wurden letzte Woche von der Polizei gewaltsam aufgelöst. Berichte von Polizeigewalt gibt es auf oppositionsnahen Medien immer wieder zuhauf.

Straßenblockade am Fluss მტკვარი (Mtkvari, auch Kura oder Kur genannt).

In der Woche ging es mir wieder schlecht, das hat sich mittlerweile wieder geändert und ich fange an, Dinge langsam mehr zu verstehen. Das ist schön und tut gut. Später nochmal mehr, erst kommt noch die Ablenkung der letzten Woche, von der ich berichten will:

Wir waren Fußball schauen – endlich mal in einem vollen Stadion!

Wir, das waren Tornike und ich. Wir sind mit dem Bus nach Batumi (ბათუმი) an die Schwarzmeerküste gefahren zum Länderspiel Georgien gegen die Ukraine. Es war ein gutes Fußballspiel, sehr unterhaltend und: in ausverkauftem Stadion.

Letzteres ist interessant. In Deutschland ist es ja so, dass sich kaum jemand für die Nationalmannschaft interessiert, im Vordergrund steht der Verein. Hier ist es quasi genau andersherum (beim Erstliga-Stadtderby zwischen Saburtalo und Dinamo wurde nicht mal ein Block im Stadion gefüllt). Ok, in Deutschland sind die Stadien trotzdem voll bei der Nationalmannschaft, aber Deutschland hat ja auch mehr Einwohner. Zurück zum Spiel: Tatsächlich habe ich das Tor Georgiens fotografiert. Hier wird der Ball rausgespielt, zurückgelegt und gleich geflankt…

…der Ball ist in der Luft…

…den ersten Kopfball kann der Torwart noch parieren,…

…beim Nachschuss hat er keine Chance – Ausgleich.

Tornike und ich :).

Danach war ich mit Salekos Familie in Saguramo (საგურამო), wo sein Sommerhaus steht. Es gab eine Supra (vermutlich სუფრა), also ein georgisches Mahl mit Tischsprüchen und allem drum und dran (nur singen nicht) und es war sehr großartig oder hätte es sein können, wenn es mir gut gegangen wäre. Aber ich kann es auch jetzt im Nachhinein genießen :).

Auch hier ist jetzt langsam aber sicher der Herbst angekommen. Auch die Brombeeren sind vertrocknet, die Bäume ganz kahl, es weht ab und an ein Wind mit eisigem Anflug. Es hat sogar schon zum zweiten Mal geregnet, seit ich in Tbilisi (თბილისი) bin!

Das ist, wie ich finde, ein ziemlich typisches georgisches Bild. Irgendwas zwischen sehr einfach und selbst zusammengebaut und Neubau und Baustelle (im Hintergrund) und überall ganz viel Kabel. Sehr sinnbildlich für Tbilisi (თბილისი), so zumindest mein Eindruck.

Aber eigentlich erinnert mich dieses Bild viel mehr an meine Odyssee auf der Suche nach einem Versanddienstleister, der meine Weihnachtspäckchen nach Deutschland schickt. Das war nämlich gar nicht so einfach. Ich würde gerne sagen, ich habe Neles Paket länger durch die Stadt getragen, als es nach Deutschland braucht, aber ich glaube, das kommt dann zeitlich doch nicht hin 😅. Naja, jedenfalls hat es nach der Georgian Post (ging gar nicht, 80/200 Lari), FedEx (480 Lari), DHL (580 Lari), FSG Post (ging gar nicht) und Barami Logistics (ging gar nicht) dann die INEX Group endlich verschickt. Mal schauen, ob die 6 € dann stimmen, die mir angekündigt worden, die Gebühren zahlt nämlich der*die Empfänger*in. Die DHL wollte tatsächlich 200 € für den Versand eines 1,6 Kilo schweren, schuhkartongroßen Pakets haben.

Ok, genug der schaurigen Paketanekdoten, nun wieder was schönes: Ich war mit den Poetry-Menschen in Udabno (უდაბნო), das ist ganz an der Grenze von Aserbaidschan. Ein Dörfli, Nahe des Klosters David Garedja (დავითგარეჯის სამონასტრი კომპლექსი = Davitgaredjis Samonastri Komplexi 😉).

Dies ist das Dorf. Es ist schon ein bisschen größer, aber auf dem Bild ist gut zu sehen, dass da eigentlich nichts ist. Es gibt einen superminikleinen Shop, der den Namen nicht so richtig verdient. Landwirtschaft geht nicht, weil zu trocken, dafür gibt es viele freilaufende Tiere.

Lara und ich sind dann von უდაბნო (Udabno) zum Kloster gewandert, ich glaube, das waren etwa zwei bis drei Stunden. Es war sehr toll und hat mir sehr gut getan. Ich war und bin in der letzten Zeit oft etwas frustriert, dass ich so viel mit mir beschäftigt bin, dass ich gar nicht das finden kann, was ich hier, in Georgien, eigentlich suche – georgische Kultur, Gesang und Musik, Wandern, Natur –, weil ich so viel mit mir selbst beschäftigt bin, mit einfach nur überleben. Und ja, das ist auch schon ganz schön viel.

Aber trotzdem frustriert es mich eben. Ich habe letzte Woche den Gedanken gehabt, dass ich vielleicht nicht wegen der oben genannten Dinge nach Georgien gegangen bin, sondern mehr, um mich selbst zu finden. Ich finde, es klingt etwas esoterisch, aber ich glaube es stimmt einfach. Mattheus meinte, Georgien ist mein abgelegenes Kloster, in dem ich mich ohne allzu viel Ablenkung mit mir und meinen Problemen beschäftigen kann und ich glaube, da ist viel dran.

Von denen gibt es nämlich genug und ich bin vielen von ihnen über die letzten zwei Jahre so viel näher gekommen. Darauf bin ich sehr stolz. Dass es jetzt weitergehen muss, hat sich nun so ergeben und vielleicht ist das einfach ein richtiger Weg, der mir und anderen letztlich sehr gut tun wird.

Apropos Weg. Auf den Bildern habt ihr jetzt zweimal Laras Rücken und die Hunde, die uns die ganze Zeit begleitet haben, gesehen. Nun kommt nochmal der (mutmaßliche) Grenzturm von vorhin. Aserbaidschan ist nämlich direkt hinter dieser Hügelkette. Krass, oder?

Gut, dass ich es fotografiert habe (wenn auch nicht so schön), sonst hätte ich die vergessen. Das sind die Regenbogenberge, benannt nach den farbigen Streifen, die manche Menschen an Regenbögen erinnern. Das ist wohl sehr einzigartig und besonders. Ja, und die kann man hier sehen.

Direkt oberhalb davon befindet sich დავითგარეჯა (David Garedja). Das ist ein Kloster, das das älteste Georgiens ist. Es war öfter mal Objekt von Eroberungen diverser Fremdherrscher und hat deswegen nicht die allergrößte Kontinuität aufzuweisen, sondern beeindruckt vielmehr durch die Einfügung in seine Umgebung. Zahlreiche Räumlichkeiten sind direkt in den Fels eingeschlagen und ich frage mich ernsthaft, wie die das im Winter aushalten (können).

…, denn es wird tatsächlich auch heute noch bewohnt.

Direkt hinter dem Kloster beginnt Aserbaidschan (nicht auf dem Foto zu sehen!). Abends kommen deshalb aserbaidschanische Grenzsoldaten und achten darauf, dass man der Bergkuppe nicht zu nahe kommt. Bewaffnet und mit allem drum und dran. So läuft das hier.

Naja, und das Panorama ist natürlich großartig. Karg und klar und einfach da.

Jaaaaa, und dann gab es noch ein kleines Abenteuer. Aber dazu brauche ich noch Vorlauf: Mit Magda (Pl) war ich am Freitag mit der Marshrutka von თბილისი (Tbilisi) nach უდაბნო (Udabno) gefahren, Lara ist wenig später hinterhergetrampt und war letztendlich schneller, weil unsere Marshrutka einfach liegen geblieben ist (das war auch etwas Abenteuer, der Motor ist einfach ausgegangen und dann hat uns jemand Starthilfe gegeben, was ewig gedauert hat und dann ist er wenig später wieder ausgegangen und dann sind wir auf eine andere Marshrutka umgestiegen).

In უდაბნო (Udabno) sind wir im Oasis Club ausgestiegen, wo Magda eine Zeit lang gevolunteert (?!-.?) hat. Das sind Polen, die sich dort vor über zehn Jahren niedergelassen haben in diesem verlassenen Dorf und dort ein Restaurant und Pension betreiben. Man kann da wundervoll essen und schlafen und sein. Dicke Empfehlung, falls ihr es mal schafft!1

Julie (F), Freddy (USA), Nina (F) und Blanche (F) sind am Samstag mit einem Leihwagen nachgekommen und waren auch mit diesem in David Garedja (დავითგარეჯა). Und jetzt das Abenteuer: Danach sind wir alle in diesem Auto noch in Richtung eines anderen Klosters gefahren – zu siebt in einem Fünfsitzer, über eine extrem holprige Straße, ganz nah an der Grenze. Und dann…

…kamen diese Schafe im Sonnenuntergang. Ehrlich, es war einfach unfassbar großartig.

Da sind wir dann alle ausgestiegen und haben uns umgeschaut und Fotos gemacht.

Da seht ihr drei dieser tollen Menschen: Blanche, Magda und Nina.

Die Schafe passten einfach richtig gut hierher.

Und auch ein paar Kühe waren dabei sowie der Hirte.

Und auch die Herdenschutzhunde dürfen nicht fehlen.

Wir entschieden uns, nicht weiter zu fahren – der Weg war dann doch zu uneben und steil. Dafür hatten wir jetzt die Schafherde vor uns und das dauerte erstmal etwas – bis uns ein Georgier überholte und laut hupend einfach durchfuhr. Da konnten wir uns gut dranhängen…

Falls jemand vergessen hat, wie ich aussehe…

Das ist Lara und im Hintergrund kann man schon sehen, wie toll diese Aufenthaltsstube in Oasis Club eingerichtet ist.

Und das ist Freddy, der ganz gut Deutsch spricht und richtig tolle Fotos macht.

Direkt neben der Küche wird geschaukelt.

Und hier gibt es diese Striche an der Wand – es ist alles so liebevoll!

Das Dorf besteht aus Svanetiern, denen ein besseres Leben hier versprochen wurde. Man erhoffte sich Tourismus durch das Kloster. Seitdem ist einige Zeit vergangen. In Svaneti gibt es ganz gut Tourismus (Mestia…) mit zahlreichen Guesthouses, aber nach დავითგარეჯა (David Garedja) kommen alle nur für einen Tag…

Es gibt hier keinen richtigen Laden, aber eine Schule. Und Putin wird hier auch nicht gemocht.

Das sind übrigens die „Poetry-Menschen“: Magda, Lara, Freddy, Nina, Blanche, Julie.

Soweit von mir für den Moment. Mir geht es gerade richtig gut und ich bekomme ab nächster Woche (endlich) Panduri-Unterricht. Ich stecke ab und an in wundervollen Videokonferenzen mit tux und olli für die Liederbock-Neuauflage, höre ganz viel Alin Coen und verfolge ganz genüsslich den Untergang der FDP.

Ich wünsche euch allen einen liebevollen Start in die Adventszeit, habt es gut und stresst euch nicht zu sehr. Es muss ja nicht wie bei Karl Valentin sein…2

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Fußnoten

  1. Falls ihr es wirklich schafft: Verwechselt den Oasis Club nicht mit einer Pension nebenan, die sehr ähnlich aussieht!↩︎

  2. „Wenn die stille Zeit vorbei ist, dann wird es auch endlich wieder ruhiger.“↩︎