So, auch das ging wieder schnell, aber ich war gestern auf der Demonstration. Proteste finden seit der Verkündung durch die Regierung, dass man die EU-Beitrittsverhandlungen von Georgien aussetzen wolle, täglich statt.
Ein Anlass, den Bericht von gestern etwas fortzusetzen und zu präzisieren. In den letzten Tagen hat die Polizei, die von den meisten hier als „Robocops“ betitelt wird, den Rustaveli-Boulevard (რუსთაველი) weit nach Mitternacht erst geräumt, Proteste gingen mindestens bis 4 Uhr in der früh. Heute ist das anders, es wurde schon zwischen 20 und 21 Uhr mit der Räumung angefangen, den Rustaveli-Prospekt zu räumen, so früh wie bisher noch nie.
Mein Plan war eigentlich, nur in ein Geschäft zu gehen, in das ich seit längerem mal wollte. Spontan entschied ich mich, zu den Poetry-Menschen dazuzustoßen, von denen einige zusammen mit Georgier*innen auf dem Protest waren.
Ich habe mich gefragt, was ich über die Gewalt der Demonstrierenden denke. Ich glaube, es ist ein sehr schwieriges Thema. Klar, Gewalt lehne ich natürlich grundsätzlich ab. Aber auch, wenn es gegen eine autoritäre Staatsmacht geht, die ebenfalls mit Gewalt gegen die Bürgerrechte der Demonstrierenden vorgeht? Gegenwehr ist mindestens berechtigt, vielleicht sogar angebracht, würde ich sagen. „Keine Gewalt“ wie während der Friedlichen Revolution (die ja auch nicht ausnahmslos friedlich war) scheint hier kaum möglich zu sein.
Die andere moralische Frage ist die hinter den „Robocops“. Im Grunde spricht man dadurch den Polizist*innen ihr Menschsein ab und legitimiert dadurch auch den Einsatz von Gewalt gegen die Polizei. Das kann ich auf der anderen Seite sehr gut verstehen, denn die Polizei agiert ja gerade als die Exekutive der autoritären Staatsmacht. Allerdings haben eben auch alle Menschen eine Würde, selbst wenn sie für Möchtegern-Autokraten ihre Körper hinhalten.
Gestern bin ich gegen 0.30 Uhr gegangen und habe dann ein Bolt (= Taxi) nach Hause genommen. Nach 12 fahren weder Busse noch Metro. Bis dato war ich nicht wirklich in der Nähe von Tränengas. Heute ist ganz Rustaveli (რუსთაველი) voll davon.
Sandro, einer der Georgier*innen (siehe Gasmaskenbild), meinte, dass vorgestern (Samstag) 200.000 Menschen da waren und es gestern (Sonntag) wesentlich mehr waren. Ich weiß nicht, wie viel da dran ist. Es sind schon massiv viele Menschen da und ich kann mir gut vorstellen, dass es mehr als 100.000 sind, aber bei allem drüber wäre ich mindestens vorsichtig. Die Tagesschau spricht immer nur von „Tausenden“, Zehntausende sollten es aber sicher sein.
Mal schauen, wann und ob ich wieder unterwegs bin. Sicherheit geht vor und ich warte morgen auf jeden Fall mal ab, wie sich das ganze hier weiter entwickelt.
Und tatsächlich ist auch mein Uni-Alltag von der Lage sehr betroffen, da immer wieder Kurse ausfallen, sich im Hauptgebäude gefühlt mehr seltsame Security-Menschen befinden als Studierende, die seltsame Fragen auf Georgisch stellen, und die Bibliothek hat nur noch bis 18 Uhr auf (was ich schon sehr unpraktisch finde, da das so der einzige richtige Arbeitsplatz ist, den ich habe).