Zeit für mich

Georgien
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Autor:in

žuk

Veröffentlichungsdatum

12. Dezember 2024

Hallo zusammen, mir geht es richtig gut (nicht immer, in jeder Sekunde, aber so generell). Die letzten zehn Tage hatten einige schöne Erlebnisse und ich hatte eine schöne Zeit.

Fangen wir an mit etwas lustigem: Am Dienstag, 03.12. hatten wir ein verpflichtendes Training für kulturelle Kompetenz. Es stellte sich heraus, dass es quasi eine Vorlesung mit ein paar kulturellen Kompetenz-Skills (Kulturschock vermeiden etc.) sowie Basic-Infos über die georgische Kultur (Küche, Eigenheiten, Land) war. Irgendwie hat die TSU diese Vorlesung zwei Monate zu spät geplant, denn im Grunde wusste ich schon alles (im Gegensatz zu den ersten Wochen). Naja. Genauso chaotisch ist by the way der Umgang mit der aktuellen politischen Situation durch die Uni. Wir bekommen nämlich absolut keine Infos vom Internationalen Büro, was ich ziemlich schwach finde. Alle Dozierenden erzählen uns andere Sachen, was in der Lehre erlaubt sei. Bei den einen haben wir Online-Vorlesungen, während ein anderer Dozent uns erzählt, dass diese generell verboten seien. Eine Dozentin sagt uns, man dürfe das Hauptgebäude nach wie vor nicht betreten, obwohl wir am Tag vorher dort Vorlesung hatten. Ich verstehe nicht, warum das Internationale Büro uns nicht informiert über die Situation und die Auswirkungen auf die Lehre. Es geht mir da vor allem um gesehen werden und das Gefühl zu haben, dass es kompetente Ansprechpartner*innen gibt, die da sind. Naja, so mäßig.

Ich war wieder bei einem Fußballspiel!

Diesmal Pokalfinale. Die erste Hälfte (inklusive eines Tores) habe ich komplett verpasst, weil ich mich im Stadion vertan hatte. Sonst wäre ich pünktlich gekommen, aber so bin ich noch eine dreiviertel Stunde durch die Stadt getingelt. Echt blöd.

Es ging um den georgischen Pokal und angetreten waren der FC Spaeri (საფეხბურთო კლუბი სპაერი), ein Zweitligaclub aus Tbilisi (თბილისი) sowie der (13-malige) Rekordpokalsieger Dinamo Tbilisi (დინამო თბილისი). Beim Spiel waren zahlreiche Fans (deutlich mehr als bei den bisherigen Club-Spielen, die saßen alle auf unserer Seite. Ein paar vereinzelte auch auf der anderen Seite des Mikheil-Meskhi-Stadions (მიხეილ მესხის სახელობის სტადიონი) in ვაკე (Vake).

დინამო (Dinamo) in weiß, სპაერი (Spaeri) in blau. Es ist ein sehr ausgeglichen und für georgische Verhältnisse ansehnliches Spiel.

Allerdings ist die Fanszene sehr weird aufgeteilt. Das sind so ziemlich die einzigen დინამო (Dinamo) Fans im Stadion gewesen – immerhin gab es auch ab und zu etwas Support. Der Rest (und das waren wirklich viele) war für სპაერი (Spaeri), das Zweitligateam. Mindestens etwas überraschend.

Nach 90 Minuten stand es verdient 2:2 (inklusive Last-Minute-Tor in der 89. Minute für სპაერი (Spaeri) und so ging es in die Verlängerung, in der aber keine weiteren Tore hinzukamen. Und so kam es zum Elfmeterschießen, dass im K.O.-Modus dann von სპაერი (Spaeri) für sich entschieden werden konnte. Hier der entscheidende gehaltene Elfmeter…

…dem großer Jubel folgte. Der erste Pokalsieg in der Geschichte von სპაერი (Spaeri).

Für die schönen Kamerabilder mit Fans im Rücken wurde dann vor der Kamera gejubelt und nicht vor den Fans. Falls noch jemand ein Symbolbild für die Kommerzialisierung des Fußballs brauchte – voilà.

Am Dienstag letzte Woche hatte ich meine erste Stunde Panduri (ფანდური) Unterricht und das war sehr toll. Ich habe jetzt erstmal zwei Stunden die Woche und lerne in jeder eine neue Melodie, die ich dann versuche, zuhause zu rekonstruieren. Es ist ganz schön schwer, ich bin Melodiespiel nicht so gewohnt und das Griffbrett ist einfach auch sehr anders als das einer Gitarre. Und dazu kommt, dass mein Instrument eher schlecht ist und mich schon jetzt sehr limitiert. Ich habe vorgestern versucht, ein gutes Instrument zu finden, aber es ist gar nicht einfach und ich bin leider echt nicht so kompetent darin, weil es zum Beispiel Komponenten wie den Steg gibt, die nicht wie bei der Gitarre (mehr oder weniger) fest verbaut sind, sondern austauschbar, was sich ja wiederum auf Seitenlage etc. auswirkt. Schwierig, alles.

Naja, am letzten Wochenende hatte ich Lust, mal etwas Me-Time außerhalb der Stadt zu haben und so fuhr ich mit der Marshrutka nach სიღნაღი (Sighnaghi) und bin von da aus über წნორი (Tsnori) nach ლაგპდეხი (Lagodekhi) getrampt. Das hat richtig gut geklappt und mein erster Lift hat mir sogar zwei Lieder auf der ფანდური (Panduri) vorgespielt.

In ლაგოდეხი (Lagodekhi) war ich in Nanas Guesthouse untergebracht. Nana spricht leider kein Englisch, nur Russisch, aber das geht mithilfe von Google Translate ganz gut. Es gab vortrefflichstes Essen, es war so gut – und zum Abschied hat sie mir Kiwis aus dem eigenen Garten geschenkt! Am Samstag bin ich zu einem Wasserfall gewandert, ganz lang die Straße entlang und dann im Naturschutzgebiet ლაგოდეხი (Lagodekhi). Die erste Flussüberquerung ging über diese Brücke.

Der Weg führte durch einen Buchenwald – eine Seltenheit in Georgien. Das Wetter war herbstlich-langweilig, also nichts groß besonderes, aber die Efeu-ähnlichen Rankpflanzen waren sehr toll.

Und das ist der Wasserfall. Ihr könnt ja mal schätzen, wie hoch die Fallhöhe ist, ich löse es unten dann auf.

Herbst ist so schön.

Ganz schön krass, welche Kräfte da wirken. Man wird auf der Plattform (ein Fels mit Geländer, zu sehen auf dem ersten Wasserfall-Bild) richtig nass gespritzt, allerdings von sehr kleinen und feinen Wasserpartikeln. So, die Fallhöhe. Es sind tatsächlich 40 Meter.

Und das beste war: Ich war da ganz allein, keine Menschenseele war unterwegs und es war richtig ruhig (je nach dem, inwieweit man einen 40 Meter in die Tiefe prasselnden Wasserfall eben als „ruhig“ bezeichnen kann).

Und ich hatte natürlich jede Menge Gelegenheit, Wasserfotos zu machen…

Es gab wohl auch mal einen Weg im Tal, der aber versperrt sein soll wegen Baumstürzen und schwierigen Flussüberquerungen. Der wäre bestimmt viel interessanter gewesen.

Aber es war auch so sehr schön, mal wieder länger zu laufen (insgesamt an dem Tag über 30 Kilometer).

„Also folgten sie den Vögeln, die Wege zu verlassen, die doch nur durchs Leben führn, statt den Wegesrand zu fassen.“

Das Flussbett des ნინოსხევი (Ninoskhevi). Der Wasserfall heißt übrigens გურგენიანის ჩანჩქერი (Gurgeniani Wasserfall).

Am Sonntag konnte man dann auch etwas von dem Drumherum ლაგოდეხის (Lagodekhis) sehen, denn ლაგოდეხი liegt direkt im Dreiländereck Georgien-Russland-Aserbaidschan. Im Norden beginnt der große Kaukasus (wie hier zu sehen), nach Südosten ist man in 5,8 Kilometern an der Grenze zu Aserbaidschan (zwischen Georgien und Russland ist wie quasi immer der Kaukasus).

Während meiner zweiten Tour am Sonntag begleiteten mich die ganze Zeit drei Straßenhunde. Und die hatten zwischendurch immer wieder viel Spaß.

Diese Brücke sieht so viel stabiler aus, als sie ist. Aber sie tut ihren Dienst.

An diesem zweiten Tag bin ich den შრომისხევი (Shomiskhevi) entlanggewandert, auf dem Hinweg die Hälfte im Tal, auf dem Rückweg etwas erhöhter. Beide Wege waren sehr sehr toll.

Ich glaub, das ist mein Lieblingsbild vom Wochenende.

#Fahrtenbild.

Auch am Sonntag war das Ziel ein Wasserfall, der 7 Meter hohe როჯოს ჩანჩქერი (Rojo Wasserfall), im Englischen auch Black Grouse genannt.

Wasser ist so schön anzusehen…

Ich traf unterwegs zwei Menschen, links aus Deutschland, rechts aus Spanien.

Außerdem war ich auch dabei.

Diese unfassbar tolle Mütze habe ich irgendwo an der Straße in თბილისი (Tbilisi) gekauft und sie ist richtig warm, selbst bei Wind.

Noch einer der Hunde, die mir gefolgt sind.

Richtig herbstlich…

Insgesamt bin ich knapp 15 Kilometer gelaufen und dann mit der Marshrutka nach თბილისი (Tbilisi) zurückgefahren. Es war ein sehr sehr tolles Wochenende.

Vor allem habe ich sehr genossen, Zeit mit mir zu haben und ich freue mich sehr, wieder dahin gefunden zu haben. Gefühlt habe ich das ein bisschen vergessen die letzten Monate, vielleicht länger. Das tut richtig gut.

Jetzt habe ich noch ein wichtiges Thema: Georgien. Oder genauer, wie ihr Georgien und die Menschen, die hier täglich (!) demonstrieren, unterstützen könnt.

Schreibt euren Bundestags- und Europaabgeordneten! Das hilft unglaublich viel, denn diese persönlichen Schreiben wirken sehr auf die Wahrnehmung von Abgeordneten und sind ein wirksames Mittel politischer Partizipation. Damit ihr es möglichst einfach habt, habe ich euch eine E-Mail vorformuliert und ihr braucht sie nur zu kopieren und abzuschicken an euren Abgeordneten (unabhängig von der Parteizugehörigkeit – ok, vielleicht keinen AfDler).

Wem ihr schreiben könnt:

Sehr geehrte Frau/Herr NAME,

seit Wochen protestieren zehntausende Menschen in Georgien für Demokratie und eine proeuropäische Ausrichtung. Nach den mindestens fragwürdigen Umständen der Wahl am 26. Oktober schreckt die Regierungspartei „Georgischer Traum“ auch vor, laut Experten, verfassungswidrigen Schritten nicht zurück und setzt zunehmend Gewalt gegenüber den Demonstrierenden ein. Es ist wichtig, dass wir als [Teil von] Europa den Georgier*innen zeigen: Wir stehen hinter euch.

Bitte setzen Sie sich im [Bundestag] Europäischen Parlament dafür ein, die Demokratiebewegung in Georgien zu unterstützen! Gibt es schon konkrete Maßnahmen, die zu diesem Zweck in Planung sind?

Beste Grüße
NAME

Vor Weihnachten werde ich mich nochmal melden und dann eine kleine Pause einlegen, bis ich wieder in Georgien bin – so der Plan. Habt es gut!

Aktuelle Empfehlungen

  • Lied „Du siehst mich“ von Jelena. Sehr tolles Lied.

  • Lied „Vergiss mich nicht in fremden Städten“ von Alin Coen und Max Prosa. Falls es irgendjemand noch nicht mitbekommen haben sollte: Ich fahre grade sehr auf Alin Coen ab… 😅.

  • Lied „Danach“. Nobody Knows ist eine Folkband aus der Altmark, in der einige Jahre Fred mitgespielt hat. Die haben einige schöne Sachen im Programm und eines meiner Lieblingslieder ist Danach, der Text ist von Kurt Tucholsky. Hören und genießen. Akkorde gibt’s bei Ultimate Guitar.

  • Ach, wenn ich grad bei NK bin. „Augen in der Großstadt“ ist auch unfassbar schön. Auch ein Tucholsky-Text. Der Mann konnte schreiben.

  • Lied „Ich träume mir ein Land“ von Gerhard Schöne. Leider gibt es keine Versionen auf YouTube, ich glaube auf Spotify auch nicht. Es ist auf der großartigen CD „Gerhard Schöne singt Kindergedichte“. Auf der einen Seite steckt da also sehr viel Kindheit für mich drin und auf der anderen Seite sind es einfach auch richtig gute Vertonungen. „Ich träume mir ein Land“ hab ich zumindest auf Ultimate Guitar gesetzt.

  • Und das erinnert mich wiederum an ein wundervolles Gedicht, das bei meinen Eltern im Flur als richtig tolles Artwork hängt:

    Ein Kind sagt

    Ich will groß sein.
    Ich will mir ein Haus bauen aus Luft
    und einen Garten aus Löwenzahn.
    Lieder sollen darinnen wachsen,
    die ich jeden Tag esse.
    Und ich will reich sein wie ein Kuckuck,
    dem der ganze Wald gehört.
    Und ich will viele Kinder haben,
    die schicke ich in die Schule,
    damit sie den Krieg verlernen
    und wissen, wie man ein Gewehr aus Lachen macht
    und eine Kugel aus Wind
    und einen Vater, der nie fortgeht.

    Rudolf Otto Wiemer
    Das Artwork ist von Matthias Klemm (Leipzig). Ich habe es digital leider nicht gefunden.

  • Und falls ihr noch nicht beim Börnel-Adventskalender dabei seid, kommt gerne auf Telegram rum. Jeden Tag gibt es eine schöne Tonaufnahme zu einem Lied aus dem Börnel. Perfekt zum Neue-Lieder-lernen oder einfach nur genießen.