Stalin

Georgien
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Autor:in

žuk

Veröffentlichungsdatum

2. Juni 2025

Und munter geht es weiter mit Berichten über die letzten Monate, denn Ende April war ich endlich in გორი (Gori). Natürlich war auch da ein Fußballspiel der Anlass, aber das Stalin-„Museum“ stand sowieso schon länger auf meinem Zettel. Und so fuhr ich also nach გორი (Gori), eine Stunde nördlich von თბილისი (Tbilisi) gelegen.

Vom Marshutka-Bahnhof lief ich Richtung Innenstadt und machte zuerst an einer Kirche halt:

Das Marienbild ist tatsächlich ein Mosaik. Ich bin immer wieder beeindruckt, von den Bemalungen georgischer Kirchen – auch wenn ich ihre Architektur etwas eintönig finde.

Nachdem ich meinen Rucksack im Hostel abgeladen habe, ging ich zu იოსებ სტალინის სახელმწიფო მუზეუმი (staatliches Josef-Stalin-Museum). Über eine Art Prachtstraße – die Stalin-Allee – läuft man direkt auf Stalins Geburtshaus zu, das von einem sarkophag-ähnlichen Haus umgeben ist. Im Hintergrund ist das eigentliche „Museum“ zu sehen.

Das Stalin-„Museum“ wurde sehr bald nach seinem Tod eröffnet (1957). Es ist die Touristenattraktion Nummer eins für Gori – vor allem für Chines*innen, die in ganzen Busladungen täglich in Gori für einen Besuch anlanden. Im Museum wird vor allem Stalins Werdegang in den Blick genommen, man könnte es vergleichen mit Geburtshäusern von berühmten deutschen Literat*innen oder Maler*innen. Nur, dass Stalin weder Literat noch Maler, sondern ein millionenfacher Massenmörder und Diktator war.

Das klingt zwar erstmal sehr absurd und verwerflich. Aber man sollte nicht vergessen, dass es ähnlich geartete „Museen“ in Form von Heimat- und DDR-Museen auch in Deutschland gibt. Geschichtliche und museumspädagogische Elemente sind dort, wie auch im Stalin-Museum, nicht zu finden, es handelt sich vielmehr um eine Sammlung von mit Stalin assoziierten Gegenständen.

Das macht das ganze natürlich mitnichten weniger verwerflich – ich will nur sagen, dass das kein Spezifikum von Georgien ist. Das gibt es auch in Deutschland (und natürlich auch anderen europäischen Ländern, die sehr nahe autoritäre Vergangenheiten haben, zum Beispiel Spanien oder Italien).

Zurück zum „Museum“: Nicht selten schlägt die Erinnerung (wenn man sie denn so nennen will) in offene Verehrung um. Das „Museum“ könnte man auch als ein Zentrum eines Stalin-Kultes bezeichnen, das auch deswegen vor allem Chines*innen aus der kommunistischen Volksrepublik China und Russ*innen aus dem neosowjetischen Russland anzieht.

Das ist auch gut zu sehen an diesem Raum. Ganz in der Mitte im Zentrum befindet sich die Totenmaske Stalins. Noch Fragen?

Neben der Ausstellung und dem Geburtshaus gehört auch dieser Eisenbahnwagen zum „Museum“. Es ist der originale private Eisenbahnwagen Stalins, mit dem er unter anderem zur Konferenz von Jalta gefahren ist. Interessant ist, dass gerade Diktatoren ein Fabel für Eisenbahnwagen als Transportmittel haben (siehe zwei sehr interessante Video-Essays von Simplicissimus über Hitlers Eisenbahn-Pläne und die von Kim Jong Un). Und wenn ich ehrlich bin, kann ich das verstehen. Wenn ich groß bin, will ich auch einen eigenen Eisenbahn-Wagen haben.

Nun ja, nach dem Krieg 2008 gab es Initiativen der Regierung სააკაშვილი (Saakashvili), das Stalin-„Museum“ umzugestalten. Kritischer und ein Museum der russischen Aggression sollte es werden. Allerdings entschied sich die Stadt Gori gegen diese Pläne. Lediglich einen kleinen Raum rechts von der großen Eingangstreppe im Foyer (siehe Bild oben) weist auf den Kaukasuskrieg hin – allerdings eben auch absolut random und ohne große Kontextualisierungen. Ich gehe auch fest davon aus, dass Führungen auf Russisch ganz anders ablaufen als die englischsprachigen. Unser Guide hat jedenfalls betont, dass die Ausstellung sehr alt sei (wenn ich mich richtig erinnere, aus den 70ern). Auf die Frage, warum man sie nicht neu mache, wusste sie allerdings keine Antwort…

Das ist auch deswegen absurd, weil es Stalin war, unter dem speziell die Georgier*innen besonders zu leiden hatten. Stalin sah sich auch selbst nicht als Georgier, sondern als Russe. Unter ihm gab es die große Politik der Russifizierung in der Sowjetunion. Trotzdem sind viele Georgier*innen stolz auf ihn, weil er Georgier war. Das verstehe ich auch irgendwie, denn Georgien ist nicht wie Deutschland oder die meisten europäischen Staaten, die weltberühmte Menschen (meistens Männer 😢) als ihre Staatsbürger zählen können. Goethe, Thomas Mann und Co. wurden natürlich auch ins Georgische übersetzt, Yana und Saleko haben Bände davon bei sich zuhause stehen. Für Georgien gilt das nicht? Kennt ihr eine historische bedeutende georgische Persönlichkeit außer Stalin (Shevardnadze zählt nicht, weil das zeitlich noch zu nah ist)? Ich bin gespannt auf Nachrichten…

Nun ja, so kommt es, dass man in quasi jedem Souvenirshop hier Socken mit Stalins Gesicht kaufen kann. Das sind vor allem Produkte für Chines*innen, sagte mir ein lokaler Guide aus თბილისი (Tbilisi) – die in China produziert werden. Das ist wahrlich Ironie.

Aber eigentlich war ich natürlich nur für Fußball da und so ging es dann am Abend zum Spiel Dila Gori gegen den FC Gagra, das გორი (Gori) mit 2:0 für sich entschied.

In einem hübschen alten Stadion gewann Dila Gori bei der letzten Sonne des Tages.

Gönnt euch bitte diese Kulisse…

Ich muss nochmal was zum georgischen Fußball loswerden. Wie ihr wisst, ist das Niveau hier – sagen wir…ausbaufähig. Das Problem ist vor allem, dass die meisten Mannschaften überhaupt keinen Ballbesitzfußball spielen und mehr destruktiv sind. Ein passender Vergleich wäre vielleicht, wenn die ganze Bundesliga aus Union Berlin etc. bestünden – da würde auch nichts ordentliches bei rauskommen. Nun ja, es gibt einige Mannschaften, die es schon versuchen und wo es dann auch Spaß macht, zuzuschauen. Dila Gori ist eine davon. Wenn man sich aber nun die aktuelle Tabelle der ევრონული ლიგა (Evronuli Liga) ansieht, dann stellt man fest, dass der FC Iberia 1999 (aka Saburtalo) mit großem Abstand die Tabelle anführt. Dabei spielen die absolut furchtbaren und destruktiven Fußball. Trotzdem gewinnen die durch irgendwelche Zufallstreffer ihre Spiele. Mich würde echt der expected-Goals-Wert dieser Mannschaft interessieren, der muss super niedrig sein…

Am Morgen schaue ich mir die Festung von გორი (Gori) an, die historisch belegt aus dem 13. Jahrhundert stammt. Der Ort ist vermutlich aber schon seit der Antike befestigt. გორი (Gori) war nämlich ein wichtiger strategischer Zugangspunkt zur Region ქართლი (Kartli), eine Region im mittleren bis östlichen Georgien, die auch unter den Namen იბერია (Iberia) oder ივერია (Iveria) bekannt ist. Die iberische Halbinsel in Spanien hat nämlich tatsächlich Verbindungen nach Georgien bzw. genauer gesagt andersrum: Die Iberer sind eigentlich ausgewanderte Georgier*innen. Spannend, oder?

Aber natürlich ist გორი (Gori) viel mehr als Stalin. Und deswegen besuche ich die „Alternative Gori Walking Tour“ von ჟანა ოდიაშვილი (Zhana Odiashvili). Dicke Empfehlung an dieser Stelle!

Zuerst besuchen wir dieses Sowjet-Denkmal für die Gefallenen des großen vaterländischen Kriegs, bei uns bekannt unter dem zweiten Weltkrieg. Achtet mal auf das Datum: Für das kolonialistische und imperialistische Russland (hinter dem Schleier der Sowjetunion) begann der Krieg erst 1941. Sollte man lieber nicht mit Pol*innen drüber sprechen…

Während man in თბილისი (Tbilisi) kaum noch Spuren des Bürgerkriegs 1992/93 sieht, sind die Spuren des Russisch-georgischen Kriegs vor 17 Jahren hier an einigen Stellen noch unverkennbar.

In Georgien gibt es viel Streetart. Hier ein Beispiel. Deutlich zu erkennen sind die Einschusslöcher. Der Stacheldraht symbolisiert die Grenze zur ცხინვალი Region (Tskhinvali-Region, im deutschsprachigen Raum unter Südossetien bekannt). Ruhe ist in diesen Konflikt noch lange nicht eingekehrt, ganz im Gegenteil. Russland hat daran kein Interesse, sondern profitiert von den daraus resultierenden Unsicherheiten. Es gibt ein „Borderization“ genanntes Phänomen (man könnte es mit Vergrenzziehung übersetzen), das beschreibt, wie Russland immer wieder die Grenzen zwischen der ცხინვალი Region (Tskhinvali/Südossetien) und Georgien verschiebt. Nicht viel, aber eben ausreichend, um diesen Konflikt aktiv am Laufen zu halten. Dadurch bleibt es höchst unwahrscheinlich, dass Georgien jemals in die EU oder die NATO aufgenommen werden wird.

Der Preis der Unabhängigkeit – für Georgien war er immer hoch. Tatsächlich bombardierte Russland schon weit vor dem Krieg (2002) georgisches Territorium, angeblich um tschetschenische Terroristen zu bekämpfen. Man stelle sich das mal mit Deutschland und Polen vor (oder in irgendeiner anderen Konstellation)…

Jedenfalls bleibt die Hoffnung, dass sich die abtrünnigen und besetzten Regionen eines Tages wieder Georgien anschließen. Und ganz abgesehen davon, dass dazu natürlich auch der Wille dieser Regionen notwendig wäre, würde das Russland sicherlich nicht zulassen.

An einer Wand gibt es eine wundervolle Sammlung von angeblich 1001 georgischer Kacheln (ქართული ორნამენტი). Allerdings habe ich mehr gezählt. Vielleicht kann bei Gelegenheit nochmal wer anderes nachzählen?

Das ჟ steht für žuk.

Für jede*n was dabei!

Auch in გორი (Gori) ist klar, wohin die Reise gehen soll.

Respekt, wer bei diesem Kabelsalat noch durchschaut…

Ein Denkmal für die georgischen Kriegshelden.

Zuletzt waren wir noch bei dem Zimmer einer mittlerweile verstorbenen alten Frau (ნაცი, Natsi), die eine umfangreiche Stalin-Sammlung hatte. Ich lass das mal so wirken. Die Verzahnung von Stalin-Kult und Heiligenanbetung ist auf jeden Fall wild.

Bei dem Wein kann man sich wahrscheinlich nur verschlucken…

Häuser wie diese sind für mich ein Inbegriff der Sowjetunion.

Das war’s erstmal. Ich bemühe mich um baldige Fortsetzung :)

Aktuelle Empfehlungen

  • Die Ungewollten. Die Irrfahrt der St. Louis“ Film, ARD-Mediathek.

    Voller Zuversicht verlassen 937 jüdische Flüchtlinge 1939 den Hamburger Hafen. Nazideutschland hinter sich, die Freiheit vor sich. Ein Visum für Kuba verspricht ein Leben ohne Angst. Doch Havanna verweigert die Einreise. Kapitän Schröder nimmt Kurs auf die USA. Auch Washington lässt die “St. Louis” nicht in einen sicheren Hafen. Als auch noch Kanada die Aufnahme verweigert, gerät die Fahrt in die Freiheit zur Odyssee auf dem Atlantik.

  • Immer wieder: „Lage der Nation“, der wichtigste deutschsprachige Politik-Podcast. In der letzten Folge wurde u.a. thematisiert, wie wichtig digitale Unabhängigkeit von US-amerikanischen Unternehmen wie Microsoft, Apple, Google und Meta ist. Weil Trump den Internationalen Strafgerichtshof sanktioniert hat, weil dieser einen internationalen Haftbefehl auf den Kriegsverbrechen beschuldigten Benjamin Netanjahu (israelischer Regierungschef) ausgestellt hat (was Trump nicht in den Kram passt), konnte der IStGh nicht auf seine (Outlook-)E-Mails zugreifen. Das zeigt wieder einmal, wie wichtig #PublicMoneyPublicCode und digitale Unabhängigkeit von US-amerikanischen Konzernen ist. Wie es nicht geht, plant gerade die Bundeswehr (auch dazu Details in der aktuellen Lage, Folge 433).