Stiebt vom Kasbek kalt der Schnee…

Georgien
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Autor:in

žuk

Veröffentlichungsdatum

24. Juni 2025

Dreimal dürft ihr raten, was jetzt kommt… Aber bevor wir zu meiner ersten richtigen Annäherung an den Kasbek kommen, der auf Georgisch wahlweise მყინვარწვერი („Gletschergipfel“) oder ყაზბეგი (Qazbegi) heißt, bleiben wir erst noch etwas in der Stadt.

Schon kurz nach meiner Ankunft kam ich das erste Mal mit der Saburtalo-Skybridge in Kontakt. Saleko erzählte mir, das die direkt neben seinem Haus steht und er nicht versteht, warum so viele Leute die sehen wollen. Da konnte ich ihm nur zustimmen. Und tatsächlich war ich das ganze Jahr über so chronisch desinteressiert, dass ich erst vor einigen Wochen meine Freude daran gefunden habe. Seitdem stand sie auf meiner Liste und als Mama dann zu Besuch war, haben wir sie uns zusammen angeschaut. Ziemlich schnell war ich dann sehr begeistert.

Das ist eines von drei Hochhäusern aus dem Gebäudekomplex, der von den Brücken verbunden wird. Diese Holzverkleidung finde ich unfassbar schick.

Doch was ist die Saburtalo-Skybridge überhaupt? Die rein architektonische Antwort ist: Drei Brücken, die von einem Hang zu einem Hochhaus, von diesem zu einem weiteren und von diesem weiteren zu noch einem weiteren führen. So einfach.

So sieht die Brücke aus – mittlerweile restauriert, aber ich finde, das schwarz steht ihr sehr gut!

Zwischen 1974 und 1976 wurde der Gebäudekomplex von den Architekten ოთარ კალანდარიშვილი (Otar Kalandarishvili) und გიზო ფოცხიშვილი (Gizo Potskhishvili) errichtet, die auch für das legendäre, leider abgerissene Iveria Hotel verantwortlich waren, an dessen prominentem Platz heute das Radisson Blue Hotel steht. Eigentlich sollte rund um die heutige Skybridge eine Art Mikro-Stadtteil werden, eine in sich geschlossene Gemeinschaft ganz nach sowjetischer Ideologie, allerdings stoppten Geldnöte wohl die Verwirklichung. Ich bin sehr froh, dass sie zumindest einen Teil gebaut haben.

Von oben hat man eine grandiose Aussicht über საბურთალო (Saburtalo). Im Hochhaus links wohnt Saleko mit seiner Familie. Das beige Hochhaus rechts steht direkt gegenüber von meiner Bleibe, die allerdings nicht zu sehen ist.

In den 70er Jahren, als diese Gebäude entstanden, waren das natürlich alles vergleichsweise Luxuswohnungen. Recht groß und vor allem neu. Das ist übrigens ein entscheidender Unterschied zwischen Deutschland und Georgien (aber sicher auch anderen ehemaligen Ostblock-Staaten): Die Platten sind das begehrenswerte, weil die Altbauten größtenteils nicht saniert sind. Und vor 35 Jahren war das in Deutschland auch gar nicht so sehr anders. Trotzdem erstaunlich, wie schnell sich der Blick darauf dann anpasst. Ich hatte immer das Gefühl, dass die Platten eher „räudig“ sind und das man da nicht wirklich freiwillig drin wohnen will. Ich würde das heute auf keinen Fall mehr so sagen und halte das auch für sehr unreflektiert. Auch die meisten Platten, die hier in Georgien so rumstehen sind natürlich schon älter, aber sehen vor allem außen etwas runtergekommen aus. Von innen dagegen sind das sehr schöne Wohnungen – zumindest die, in denen ich drinnen war.

Das ist der Blick in die andere Richtung, also nach Westen. Deutlich zu sehen sind die zahlreichen Baustellen. Vermutlich könnte ich Tage, Wochen damit verbringen, Hochhausbaustellen zu zählen. Das Wandgraffiti ist schön und sonst schaut euch mal die Platte rechts im Vordergrund genau an… Das müssten übrigens alles Khrushchevkas sein, ein spezieller Typ an sehr billig zu bauenden Plattenbauten, der die immense Wohnungsnot in der Sowjetunion lindern sollte. Khrushchev war lediglich Namensgeber, weil das in seine Regierungszeit fiel.

Mittlerweile schätze ich diesen Blick sehr wert.

Die Kombi von Beton und Holzfenstern finde ich einerseits etwas lustig, aber auch sehr schick. Ich mag insbesondere das farbliche Zusammenspiel sehr.

Das besondere an der Saburtalo-Skybridge ist, dass es nicht einfach nur Brutalismus ist. Es ist georgischer Brutalismus. Denn Skybridges (ich weiß echt kein deutsches Wort btw) gibt es schon lange in der georgischen Architektur, wenn man sich beispielsweise შატილი (Shatili) in der Region ხევსურეთი (Khevsureti) anschaut, wo es ähnliche Verbindungen aus Stein und Holz zwischen den Wehrtürmen gibt. Ich war noch nicht dort, aber vielleicht hole ich das noch nach.

Nebenbei hat die Skybridge natürlich noch einen sehr praktischen Effekt. Statt 14 Stockwerk-äquivalente hochzustiefeln, kann man auch einfach Aufzug fahren und dann über die Brücke spazieren, wenn man oben am Hang wohnt.

Das dritte Haus (das mit der Holzverkleidung) versteckt sich noch hinter dem zweiten. Aber auch so sieht’s ziemlich toll aus.

Ein kleines „Special“ gibt es bei den Hochhäusern auch noch: Ursprünglich war das – ganz sowjetisch – natürlich alles sehr uniform gedacht. Mit den Jahren hat sich das allerdings sehr individualisiert und nun sieht jedes Stockwerk eigentlich total anders aus.

Und dann ging es nach ყაზბეგი bzw. სტეფანწმინდა (Qazbegi bzw. Stepantsminda). Stepantsminda liegt im Norden Georgiens am Fuße von Qazbegi, dem Berg. Der Name verwirrt immer. Also, სტეფანწმინდა (Stepantsminda) ist der ursprüngliche Name, den man in die deutsche Sprache mit „St. Stephan“ übersetzen könnte. Im georgischen gibt es keinen f-Laut wie im Deutschen, stattdessen wird dafür einer der beiden p-Laute genutzt (ფ), der aber dann auch (oft, gerade bei modernen und etablierten Namen nicht immer) wie p ausgesprochen wird. Stepan ist also Stephan und წმინდა (tsminda) bedeutet heilig. Meine Kolleginnen aus unserem georgischen Singekreis in Marburg wird dieses Wort definitiv bekannt vorkommen. 1925 (oder 1921, englisch und deutsche Wikipedia sind sich da nicht einig) wurde der Ort dann in ყაზბეგი (Qazbegi) zu Ehren des gleichnamigen Schriftstellers umbenannt. Dessen Großvater wiederum erhielt den Beinamen aufgrund militärischer Verdienste, der, so wie ich es verstanden habe, einfach nur eine Art Adelstitel ist und sowas wie „Lord“ bedeutet (aber ich finde gerade nicht mehr die Quelle, wo ich das gelesen habe…). 2006 wurde die Stadt, naja, eher das Dorf wieder umbenannt in სტეფანწმინდა (Stepantsminda). Die Munizipalität, quasi Kommune könnte man sagen, ist ყაზბეგი (Qazbegi).

Das ist allerdings nicht der Berg ყაზბეგი (Qazbegi), sondern das Massiv auf der anderen Seite des Ortes.

In სტეფანწმინდა (Stepantsminda) waren wir zwei Nächte. Nach der dreistündigen Marshutka-Fahrt von თბილისი (Tbilisi) machten wir noch eine kleine Wanderung, eher Spaziergang zu einem Kloster, das dem Propheten Elia geweiht ist, so wie ich es verstanden habe.

Innen drin gibt es wieder wunderschöne Fresken.

Einen kleinen Einschub noch zur Georgischen Heerstraße (საქარტველოს სამხედრო გზა), der Straße, die von თბილისი (Tbilisi) über სტეფანწმინდა (Stepantsminda) nach Russland (Vladikavkaz) führt. Sie hat zwar einen sehr hochtrabenden Namen, aber „hochtrabend“ sollte lieber wortwörtlich nehmen, statt auf die Straßenqualität zu beziehen. Die Georgische Heerstraße hat einen Hochpunkt von 2.382 Metern und ist eine 213 Kilometer lange Heerstraße. Sie ist die einzige verbliebene Straßenverbindung von Russland nach Georgien, nachdem infolge des Krieges 2008 der Grenzverkehr zwischen Abkhazien sowie der Tskhinvali-Region (in unseren Gefilden unter Südossetien bekannt) auf der einen und Georgien auf der anderen Seite zum vollständigen Erliegen gekommen ist. Ihre Nutzung ist schon seit Jahrtausenden (1. Jahrhundert) dokumentiert. Im Winter ist sie aufgrund immensen Schneefalls zeitweise in Teilen nicht passierbar.

Am ersten Tag war richtig gutes Wetter.

Die Kirche auf dem Berg dort ist die გერგეტის სამება (Gergeti Sameba Kirche). სამება (Sameba) heißt Dreifaltigkeit. Die Kirche ist aus dem 14. Jahrhundert, liegt auf 2.170 Metern Höhe und ist sowohl Wallfahrtsort als auch Touri-Hotspot. სტეფანწმინდა (Stepantsminda) liegt übrigens auf 1.700 Metern Höhe. Und bezüglich Dorf oder Stadt: 1.300 Einwohner*innen. Noch Fragen?

Kirchchen (oder Kirchlein? Oder Kirchlinge??) sind so oft anzutreffen, das ist richtig süß.

Eigentlich hatte ich mich auf eine entspannte Tageswanderung eingestellt, aber dann stellen wir fest, dass es zur გერგეტი (Gergeti) Kirche nur dreieinhalb Stunden hin und zurück sind. Das ist mir dann doch zu wenig und ich beschließe, mich am nächsten Tag alleine Richtung ყაზბეგი Gletscher aufzumachen. Das ist länger. Sieben Stunden laut Wanderführer, 17 Kilometer, 1.200 Höhenmeter rauf und dann nochmal runter. Eigentlich bin ich nicht so wahnsinnig fit, würde ich sagen. Aber umdrehen geht ja immer rechtzeitig. Und damit es trotzdem recht entspannt bleibt, mache ich mich gegen acht los.

Mit Nieselregen und einer dicken Wolkendecke empfängt mich der Kaukasus am nächsten Morgen.

Als ich meinen ersten Zwischenstopp vor mir sehe, ist noch nicht viel los. Aber bei der Kirche angekommen, höre ich sehr viel Deutsch. Eine Lidl-Reisegruppe aus den DACH-Ländern. Wie hätte es anders sein können…

Erster Zwischenstopp: გერგეტის სამება (Gergetis Sameba).

Allein im Hochgebirge unterwegs sein ist nichts, was man einfach mal so machen sollte. Aber die Strecke ist bekannt genug und als ich um die zwanzig Menschen den ersten Anstieg hochkraxeln sehe, schließe ich mich schnell an und laufe in Gesellschaft.

Überall wo Wolken sind, ist auch Berg. Von dem, was man links noch sehen kann, geht es rechts, wo der ყაზბეგი ist, nochmal 2.000 Meter nach oben. Die Höhe ist echt unvorstellbar.

Diese Kirche ist zur Abwechslung mal richtig alt und kaum neu bemalt. Sehr sympathisch. Aber wenn es tagsüber massig voll ist, bestimmt auch nicht eine Wohlfühloase.

Und dann ist es doch alles viel entspannter als gedacht. Ich bin quasi schneller als alle anderen, die mit mir hochgestiegen sind, darunter deutlich höher betagte und sichtlich deutlich schlechter ausgerüstete als ich. Und ich hab mir noch Sorgen darüber gemacht, dass ich kaum Ausrüstung dabei hatte…

Die Landschaft ist wunderschön. So schön, dass ich überlege, nochmal herzukommen und eine Woche hier zu wandern mit Zelten. Es wachsen ganz andere Gräser und so sieht es einfach komplett anders aus. Auch die Schneekuppen sind sehr beeindruckend.

Allerdings ist vom ყაზბეგი nach wie vor nicht viel zu sehen. Die Chance auf freie Sicht soll morgens zwischen acht und zehn am größten sein, nur leider hat es vorher geregnet gehabt.

Der ყაზბეგი ist weiterhin in neblig-wolkiges weiß getüncht.

Ja, vielleicht noch ein paar Worte zu diesem Berg. Der Gipfel des ყაზბეგი liegt ganz knapp noch in Georgien. Mit 5.054 Metern ist er der dritthöchste Berg Georgiens (der höchste Ostgeorgiens), allerdings bestimmt der bekannteste. Er ist ein ehemaliger Vulkan (der zweithöchste des Kaukasus), der letzte Ausbruch ist aber schon schlappe 2775 Jahre her. Woher der Name des ყაზბეგი jetzt genau stammt, ist wohl nicht ganz geklärt. In der englischen Wikipedia habe ich jetzt gefunden, dass das Wort ყაზბეგი in der kabardinischen Sprache (nicht verwandt mit Georgisch) „Edelmann“ bedeutet und, wie schon gesagt, ein Titel war. Nach welcher Person der Berg ყაზბეგი nun benannt ist, ist aber nicht final dokumentiert.

Um den ყაზბეგი ranken sich viele Mythen. Eine davon kennt ihr ganz sicher: Prometheus soll an den Berg gekettet worden sein als Strafe dafür, dass er den Menschen das Feuer gebracht hat. Als wäre das nicht Strafe genug, riss ein Adler ihm tagtäglich ein Stück seiner Leber heraus, die allerdings sofort wieder nachwuchs.

Hach, es war einfach richtig schön.

Das sind die Gräser, von denen ich sprach…

Seht ihr das Häuslein dort oben? Da ist eine erste, kleine Hütte. Mehr eine Art Café, wie sich später rausstellt.

Auf halber Höhe am rechten Rand sieht man die erste richtige Hütte – oder wie der Schweizer Pascal mir erklärt: „Schweizer Service zu Schweizer Preisen“. Man kann nächtigen, zelten, mit allem drum und dran. Sie liegt direkt am ყაზბეგი Gletscher und war eigentlich mein Ziel. Aber das Schneefeld ist einerseits zu risikoreich und würde auch einfach keinen Spaß machen.

Ich bleibe lieber in dieser Hütte und mache ausgiebige Mittagspause.

Anfangs hab ich gedacht, dass sie verunglückte Bergsteiger rausholen, spätestens nach dem dritten Flug war klar, dass sie nur Sachen zur Hütte transportieren.

Schnee ist schwierig zu fotografieren, wenn es nicht das Motiv sein soll. Naja. Mit Pascal, der das Foto gemacht hat, hab ich viel gequatscht, so ziemlich über alles. Das war hochinteressant. Zusammen warteten wir noch, ob sich der ყაზბეგი nochmal zeigen würde…

…dem war nicht so. Irgendwann sind wir dann zusammen abgestiegen. Meine Route könnt ihr übrigens hier sehen, falls es euch interessiert.

Ein Blick auf das Dorf გერგეტი (Gergeti).

Und einer zurück. Sieht schon beeindruckend aus…

Soweit zu meinem ყაზბეგი-Abenteuer. Es ist ganz schön viel passiert, merke ich. Also kommt hoffentlich bald noch eine Fortsetzung und dann erfahrt ihr auch endlich von Christof und Claudias Besuch.

Habt es gut!

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