Dreimal dürft ihr raten, was jetzt kommt… Aber bevor wir zu meiner ersten richtigen Annäherung an den Kasbek kommen, der auf Georgisch wahlweise მყინვარწვერი („Gletschergipfel“) oder ყაზბეგი (Qazbegi) heißt, bleiben wir erst noch etwas in der Stadt.
Schon kurz nach meiner Ankunft kam ich das erste Mal mit der Saburtalo-Skybridge in Kontakt. Saleko erzählte mir, das die direkt neben seinem Haus steht und er nicht versteht, warum so viele Leute die sehen wollen. Da konnte ich ihm nur zustimmen. Und tatsächlich war ich das ganze Jahr über so chronisch desinteressiert, dass ich erst vor einigen Wochen meine Freude daran gefunden habe. Seitdem stand sie auf meiner Liste und als Mama dann zu Besuch war, haben wir sie uns zusammen angeschaut. Ziemlich schnell war ich dann sehr begeistert.
Doch was ist die Saburtalo-Skybridge überhaupt? Die rein architektonische Antwort ist: Drei Brücken, die von einem Hang zu einem Hochhaus, von diesem zu einem weiteren und von diesem weiteren zu noch einem weiteren führen. So einfach.
Zwischen 1974 und 1976 wurde der Gebäudekomplex von den Architekten ოთარ კალანდარიშვილი (Otar Kalandarishvili) und გიზო ფოცხიშვილი (Gizo Potskhishvili) errichtet, die auch für das legendäre, leider abgerissene Iveria Hotel verantwortlich waren, an dessen prominentem Platz heute das Radisson Blue Hotel steht. Eigentlich sollte rund um die heutige Skybridge eine Art Mikro-Stadtteil werden, eine in sich geschlossene Gemeinschaft ganz nach sowjetischer Ideologie, allerdings stoppten Geldnöte wohl die Verwirklichung. Ich bin sehr froh, dass sie zumindest einen Teil gebaut haben.
In den 70er Jahren, als diese Gebäude entstanden, waren das natürlich alles vergleichsweise Luxuswohnungen. Recht groß und vor allem neu. Das ist übrigens ein entscheidender Unterschied zwischen Deutschland und Georgien (aber sicher auch anderen ehemaligen Ostblock-Staaten): Die Platten sind das begehrenswerte, weil die Altbauten größtenteils nicht saniert sind. Und vor 35 Jahren war das in Deutschland auch gar nicht so sehr anders. Trotzdem erstaunlich, wie schnell sich der Blick darauf dann anpasst. Ich hatte immer das Gefühl, dass die Platten eher „räudig“ sind und das man da nicht wirklich freiwillig drin wohnen will. Ich würde das heute auf keinen Fall mehr so sagen und halte das auch für sehr unreflektiert. Auch die meisten Platten, die hier in Georgien so rumstehen sind natürlich schon älter, aber sehen vor allem außen etwas runtergekommen aus. Von innen dagegen sind das sehr schöne Wohnungen – zumindest die, in denen ich drinnen war.
Das besondere an der Saburtalo-Skybridge ist, dass es nicht einfach nur Brutalismus ist. Es ist georgischer Brutalismus. Denn Skybridges (ich weiß echt kein deutsches Wort btw) gibt es schon lange in der georgischen Architektur, wenn man sich beispielsweise შატილი (Shatili) in der Region ხევსურეთი (Khevsureti) anschaut, wo es ähnliche Verbindungen aus Stein und Holz zwischen den Wehrtürmen gibt. Ich war noch nicht dort, aber vielleicht hole ich das noch nach.
Und dann ging es nach ყაზბეგი bzw. სტეფანწმინდა (Qazbegi bzw. Stepantsminda). Stepantsminda liegt im Norden Georgiens am Fuße von Qazbegi, dem Berg. Der Name verwirrt immer. Also, სტეფანწმინდა (Stepantsminda) ist der ursprüngliche Name, den man in die deutsche Sprache mit „St. Stephan“ übersetzen könnte. Im georgischen gibt es keinen f-Laut wie im Deutschen, stattdessen wird dafür einer der beiden p-Laute genutzt (ფ), der aber dann auch (oft, gerade bei modernen und etablierten Namen nicht immer) wie p ausgesprochen wird. Stepan ist also Stephan und წმინდა (tsminda) bedeutet heilig. Meine Kolleginnen aus unserem georgischen Singekreis in Marburg wird dieses Wort definitiv bekannt vorkommen. 1925 (oder 1921, englisch und deutsche Wikipedia sind sich da nicht einig) wurde der Ort dann in ყაზბეგი (Qazbegi) zu Ehren des gleichnamigen Schriftstellers umbenannt. Dessen Großvater wiederum erhielt den Beinamen aufgrund militärischer Verdienste, der, so wie ich es verstanden habe, einfach nur eine Art Adelstitel ist und sowas wie „Lord“ bedeutet (aber ich finde gerade nicht mehr die Quelle, wo ich das gelesen habe…). 2006 wurde die Stadt, naja, eher das Dorf wieder umbenannt in სტეფანწმინდა (Stepantsminda). Die Munizipalität, quasi Kommune könnte man sagen, ist ყაზბეგი (Qazbegi).
In სტეფანწმინდა (Stepantsminda) waren wir zwei Nächte. Nach der dreistündigen Marshutka-Fahrt von თბილისი (Tbilisi) machten wir noch eine kleine Wanderung, eher Spaziergang zu einem Kloster, das dem Propheten Elia geweiht ist, so wie ich es verstanden habe.
Einen kleinen Einschub noch zur Georgischen Heerstraße (საქარტველოს სამხედრო გზა), der Straße, die von თბილისი (Tbilisi) über სტეფანწმინდა (Stepantsminda) nach Russland (Vladikavkaz) führt. Sie hat zwar einen sehr hochtrabenden Namen, aber „hochtrabend“ sollte lieber wortwörtlich nehmen, statt auf die Straßenqualität zu beziehen. Die Georgische Heerstraße hat einen Hochpunkt von 2.382 Metern und ist eine 213 Kilometer lange Heerstraße. Sie ist die einzige verbliebene Straßenverbindung von Russland nach Georgien, nachdem infolge des Krieges 2008 der Grenzverkehr zwischen Abkhazien sowie der Tskhinvali-Region (in unseren Gefilden unter Südossetien bekannt) auf der einen und Georgien auf der anderen Seite zum vollständigen Erliegen gekommen ist. Ihre Nutzung ist schon seit Jahrtausenden (1. Jahrhundert) dokumentiert. Im Winter ist sie aufgrund immensen Schneefalls zeitweise in Teilen nicht passierbar.
Eigentlich hatte ich mich auf eine entspannte Tageswanderung eingestellt, aber dann stellen wir fest, dass es zur გერგეტი (Gergeti) Kirche nur dreieinhalb Stunden hin und zurück sind. Das ist mir dann doch zu wenig und ich beschließe, mich am nächsten Tag alleine Richtung ყაზბეგი Gletscher aufzumachen. Das ist länger. Sieben Stunden laut Wanderführer, 17 Kilometer, 1.200 Höhenmeter rauf und dann nochmal runter. Eigentlich bin ich nicht so wahnsinnig fit, würde ich sagen. Aber umdrehen geht ja immer rechtzeitig. Und damit es trotzdem recht entspannt bleibt, mache ich mich gegen acht los.
Als ich meinen ersten Zwischenstopp vor mir sehe, ist noch nicht viel los. Aber bei der Kirche angekommen, höre ich sehr viel Deutsch. Eine Lidl-Reisegruppe aus den DACH-Ländern. Wie hätte es anders sein können…
Allein im Hochgebirge unterwegs sein ist nichts, was man einfach mal so machen sollte. Aber die Strecke ist bekannt genug und als ich um die zwanzig Menschen den ersten Anstieg hochkraxeln sehe, schließe ich mich schnell an und laufe in Gesellschaft.
Und dann ist es doch alles viel entspannter als gedacht. Ich bin quasi schneller als alle anderen, die mit mir hochgestiegen sind, darunter deutlich höher betagte und sichtlich deutlich schlechter ausgerüstete als ich. Und ich hab mir noch Sorgen darüber gemacht, dass ich kaum Ausrüstung dabei hatte…
Allerdings ist vom ყაზბეგი nach wie vor nicht viel zu sehen. Die Chance auf freie Sicht soll morgens zwischen acht und zehn am größten sein, nur leider hat es vorher geregnet gehabt.
Ja, vielleicht noch ein paar Worte zu diesem Berg. Der Gipfel des ყაზბეგი liegt ganz knapp noch in Georgien. Mit 5.054 Metern ist er der dritthöchste Berg Georgiens (der höchste Ostgeorgiens), allerdings bestimmt der bekannteste. Er ist ein ehemaliger Vulkan (der zweithöchste des Kaukasus), der letzte Ausbruch ist aber schon schlappe 2775 Jahre her. Woher der Name des ყაზბეგი jetzt genau stammt, ist wohl nicht ganz geklärt. In der englischen Wikipedia habe ich jetzt gefunden, dass das Wort ყაზბეგი in der kabardinischen Sprache (nicht verwandt mit Georgisch) „Edelmann“ bedeutet und, wie schon gesagt, ein Titel war. Nach welcher Person der Berg ყაზბეგი nun benannt ist, ist aber nicht final dokumentiert.
Um den ყაზბეგი ranken sich viele Mythen. Eine davon kennt ihr ganz sicher: Prometheus soll an den Berg gekettet worden sein als Strafe dafür, dass er den Menschen das Feuer gebracht hat. Als wäre das nicht Strafe genug, riss ein Adler ihm tagtäglich ein Stück seiner Leber heraus, die allerdings sofort wieder nachwuchs.
Soweit zu meinem ყაზბეგი-Abenteuer. Es ist ganz schön viel passiert, merke ich. Also kommt hoffentlich bald noch eine Fortsetzung und dann erfahrt ihr auch endlich von Christof und Claudias Besuch.
Habt es gut!