Beim letzten Mal habe ich wieder mehr Fußball-Content versprochen, der kommt jetzt. Eigentlich wollten Claudia und Christof Richtung სტეფანწმინდა (Stepantsminda) fahren, aber dann hatte Christof einen Hexenschuss vom Niesen (das ist wirklich eine hochgefährliche Angelegenheit!!) und so ist Claudia Richtung გორი (Gori) und dann უფლისციხე (Uplistsikhe) gefahren, einer Höhlenstadt. Christof ist in თბილისი (Tbilisi) geblieben und so begab es sich, dass wir zusammen Fußball gucken waren – Women’s Nations League Liga C (niedrigste Liga), Gruppe 2, letzter Spieltag: Georgien gegen Zypern. Es geht ums Weiterkommen in die nächste Runde. Ich sag’s mal vorsichtig: Krass, dass das die besten Fußballerinnen dieses Landes sind…
Georgien verliert verdient mit 1:2, viel interessanter als die dauernden und einfachsten Stellungsfehler der Georgier*innen ist aber unsere Hopper-Begegnung, die – wie der Zufall so will – direkt neben uns sitzt. Es gibt eine Hopper-App (Futbology), quasi ein digitales Fotoalbum für Stadionbesuche. Man kann dann in Partien „einchecken“ und sehen, wer und wie viele noch eingecheckt haben. Das sind in Georgien so häufig drei bis sieben andere, manchmal aber auch niemand. In diesem Spiel sind es drei weitere, einer davon David. Und eben Alex, ein sehr sympathischer Engländer, der neben uns sitzt und Jugendtrainer bei Leeds United ist. Das ist ja mal super interessant. Nach dem Spiel fragen wir ihn, ob er noch Lust hat, irgendwo was zu trinken und so laufen wir bis zur nächsten Kneipe (ein ganz schön weites Stück) und sitzen da bis tief in die Nacht. Ich glaube, ich war um drei zuhause, wenn ich mich recht erinnere. Wir haben Tomatenbier probiert (nur genippt, es schmeckt wie es klingt), sehr viel gequatscht, Christof hat Kartentricks gezeigt und wir haben wunderbar Karten gespielt – ein Spiel mit lügen, was unfassbar viel Spaß gemacht hat. Der Abend hat sich sehr gelohnt.
Dann fährt Christof Claudia hinterher und sie erkunden გორი (Gori) und წყალტუბო (Tsqaltubo) ohne mich. In ქუთაისი (Kutaisi) werden wir uns dann nochmal wiedersehen. Aber vorher steht noch ein wichtiger Programmpunkt an: Mit David ein letztes Spiel schauen, bevor er sich auf den Rückflug begibt. Ohne David wäre ich definitiv zu viel weniger Fußballspielen gegangen, vermutlich auch nicht nach Armenien gekommen und hätte mich auch nicht so sehr fürs Hoppern begeistern lassen. Es war eine richtig schöne und inspirierende Zeit mit ihm, für die ich sehr dankbar bin. Nun ging’s also zum vorerst letzten Spiel, einem Nationalmannschaftsfreundschaftsspiel gegen die Färöer Inseln.
So richtig verstehe ich nicht, warum sie in diesem Stadion spielen. Es ist lange nicht halb voll, vielleicht zu einem Viertel? Nun ja, wenn die FIFA die Nachfrage nach Spielen nicht einschätzen kann (#KlubWM), warum sollte das der Georgische Fußballverband hinkriegen?
In ქუთაისი (Kutaisi) komme ich spät abends am Freitag an – am Sonntagnachmittag geht es für mich zurück und für Christof und Claudia nach ბათუმი (Batumi), um mit der Fähre nach Bulgarien zu fahren. Die beiden hatten schon einen ქუთაისი (Kutaisi) Tag zusammen und ich treffe sie in einem Restaurant, wo es alle halbe Stunde ein paar Lieder georgische Live-Musik gibt. Ja, das mit der georgischen Musik ist so eine Sache. Ich habe auf viele Art und Weisen versucht, die Art von Musik hier zu finden, die ich kenne, aber das ist gar nicht so leicht. Ich habe ein paar Gedanken dazu, die ich gerne teilen möchte.
Für uns als Ausländer ist Georgien sehr viel mit Musik verknüpft. Ich glaube nicht, dass es daran liegt, dass Georgien tatsächlich viel musikalischer oder Musik-fokussierter ist als zum Beispiel Deutschland. Aber es nimmt einen größeren Teil der kulturellen Identität ein, glaube ich. Das bedeutet aber auch noch nicht, dass der dann mehr ausgelebt wird, als das in Deutschland auch passiert. Insgesamt habe ich schon auch den Eindruck, dass georgische Folklore auch in der Durchschnittsbevölkerung einen etwas höheren Stellenwert einnimmt als das in Deutschland der Fall ist (das kann ich aber natürlich nicht empirisch beantworten). Alles in allem stelle ich aber keine großen Unterschiede fest zwischen Deutschland und Georgien. Es ist eben doch gar nicht so sehr anders und auch hier gibt es durchaus Leute, die nicht wirklich singen können (ja, es gibt wirklich Leute die sagen, alle Georgier*innen könnten singen). Gedanke eins ist also: Eigentlich ist es hier nicht so riesig anders als in Deutschland.
Dann wäre da die Sache mit dem Finden. Wie findet man hier ein bestimmtes Musikgenre? Ich glaube, ohne Locals, die einem helfen, ist das unmöglich und ich hab’s selbst mit den Locals aus dem Erasmus Student Network und mit Salekos Familie nicht geschafft. Vielleicht ist es so, dass nur zu Anlässen gesungen wird (und auch bei სუფრას (Supras) mit Salekos Familie wurde auch gesungen – aber ein völlig anderes Genre), jedenfalls kann ich mir aber auch gut vorstellen, dass auch das nicht so riesig anders ist als in Deutschland. Fragt man einen random durchschnittlichen CDU-Wähler, wo man in Deutschland deutsche Volkslieder singen könnte, wäre der vermutlich auch sehr ratlos, wenn er Pfadfinder nicht kennt. Vielleicht noch auf Gemeindefesten (Kirche oder Kommune), die aber dann oft nur einmal im Jahr sind. Aber auch da muss man die richtigen Leute kennen, wenn man das finden will. Ich kann nicht einschätzen, ob das für Ausländer*innen in Deutschland einfacher wäre als für mich in Georgien.
Und zuletzt gibt es da noch ein weiteres Problem: Viele Lieder, die ich als „georgische Lieder“ kenne, sind gar nicht auf Georgisch, sondern einigen der noch kleineren Sprachen, die auch zur Sprachfamilie ქართული (Kartuli) gehören. Neben ქართული (Georgisch), 5 Millionen Sprecher*innen, gibt es auch noch მარგალური ნინა (Mingrelische Sprache), von 500.000 Menschen gesprochen, die ლაზური ნენა (Lasische Sprache), die von 250.000 Menschen gesprochen wird, und die ლუშნუ ნინ bzw. სვანური ენა (Svanische Sprache), die von 40.000 Menschen gesprochen wird. Das bekannte „georgische“ Lied Heyamoli ist zum Beispiel gar nicht Georgisch, sondern Lasisch. Das versteht dementsprechend niemand in თბილისი (Tbilisi).
Gleichzeitig gibt es nicht die georgische Polyphonie. Das dreistimmige, das ich kenne, ist eine Form, aber es gibt auch achtstimmige Polyphonie, die sehr populär und bekannt ist, mir aber gar nichts sagt. Mit anderen Worten: Es ist eben doch nicht so leicht, genau die Nische zu finden, die ich suche. Zumal ich auch nicht auf irgendwelche partizipativen Chöre oder so gestoßen bin. Ich vermute, dass das auch daran liegt, dass die Menschen hier sehr viel arbeiten müssen, um genug Geld zu haben, und dann einfach nicht mehr genug Zeit für zeitintensive Hobbys bleibt. Das Durchschnittseinkommen lag 2024 bei 758 US-Dollar. Das ist deutlich niedriger als in Deutschland. Leider weiß ich nicht, ob die Zahl nach Abzug der Steuern ist oder vor. Durchschnitt in Deutschland 2023: 4.480 € brutto, mit allen Arbeitnehmenden inklusive Teilzeit und geringfügig beschäftigten bei 3.540 € brutto, netto sind das 2.430 €. Das ist deutlich höher – obwohl beispielsweise das Wohnen hier keineswegs günstiger als in Deutschland ist.
So, weiter geht’s in ქუთაისი (Kutaisi). Eigentlich wollten wir uns den მარტვილი (Martvili) und den ოკაცე (Okatse) Canyon anschauen, aber dann haben wir gemerkt, dass der eigentlich nur touristisch ist, dass Wandern dort gar nicht mal so gut geht und dass man da erst über eine Stunde lang hinfahren muss. Also verwarfen wir den Plan und suchten uns etwas kleineres: den ზარათის საკალმახეს ჩანჩქერი (Zaratis Sakalmakhes Chanchkeri, das bedeutet so viel wie Forellenwasserfall in Zarati). Dafür fuhren wir ins kleine Dörfchen ზარათი (Zarati) und stiefelten in unfassbarer Hitze durch einen hübschen kleinen Canyon, den wir ganz für uns hatten.
Auf dem Rückweg kommen wir an einem prächtigen Maulbeerbaum vorbei und essen ganz viele leckere Maulbeeren.
Die Figuren dieses Brunnens sind Nachbildungen eines Fundes aus prähistorischen kolkhischen Grabstätten. Kolkhis (ich bleibe bei meiner englischen Transkription) war eines der georgischen Königreiche (es gab zwei: Kolkhis und Iberia). Auch aus der griechischen Mythologie dürfte Kolkhis bekannt sein: Es war die Heimat der Medea und das Ziel Iasons und der Argonauten auf der Suche nach dem Goldenen Vlies. Funde von 5.000 v. Chr. zeugen von frühem Weinanbau, ab dem 6. Jahrhundert v. Chr. ist es als eigenes Königreich nachweisbar.
Am nächsten Tag, Sonntag, schauen wir uns noch ein bisschen in der Stadt um. Die ersten der berüchtigten Melonenautos sind schon zu sehen.
Wir waren noch Autoscooter fahren im Freizeitpark, mein erstes Mal, das war sehr lustig. Und Gondel fahren und vieles mehr. Es war richtig schön! Und dann trennten sich unsere Wege wieder. Und damit war auch die zweite Etappe meines Besuchsmarathons vorbei und es hat richtig gut funktioniert bisher – auch weil ich parallel und immer wieder weiter an meiner Hausarbeit schreiben konnte.
Die Zeit mit Christof und Claudia verging wie im Fluge und war richtig schön. Schön, dass uns so viel hatten!
Für heute war es das erstmal und ich hoffe, ihr habt es gut. Bis bald!
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- Heute empfehle ich euch mal einen Artikel von mir, den ich in der Rubrik „Eua Senf“ für das BVB-Fanzine schwatzgelb.de geschrieben habe. Seit über zehn Jahren bin ich Mitglied beim BVB und bis ich schwatzgelb.de entdeckt habe, war ich eher passiv. Mittlerweile hinterfrage ich vereinspolitische Geschehnisse um den Verein kritisch und je nach Ausgangslage werde ich wohl zum ersten Mal im November zur Mitgliederversammlung fahren, um Reinhold Lunow zum Präsidenten zu wählen. Das vereinspolitische Interesse habe ich auch schwatzgelb.de zu verdanken – die machen wirklich eine unfassbar tolle Arbeit (alles ehrenamtlich). Zeit, etwas zurückzugeben – natürlich eine kritische Einordnung.