Neue Blicke auf die Stadt

Georgien
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Autor:in

žuk

Veröffentlichungsdatum

22. Juni 2025

In den letzten Wochen hatte ich dann sehr viel Besuch. Aber erstmal war ich im Stadion in ქუთაისი (Kutaisi) bei ტორპედო ქუთაისი (Torpedo Kutaisi), dem dort ansässigen Fußballklub. Dort ist tatsächlich seit Anfang des Jahres ein Deutscher Cheftrainer, der in Fußballkreisen definitiv bekannt sein dürfte: Dirk Schuster schaffte in den Zehnerjahren den Durchmarsch mit Darmstadt 98 von der dritten in die Bundesliga. Was er jetzt genau in Georgien will, verstehe ich nicht so richtig. Die Liga hier ist schon sehr schwach (maximal vergleichbar mit Regionalliga in Deutschland) und darüber hinaus spielen die meisten Teams sehr destruktiven Fußball, wodurch es nur sehr wenige spannende Spiele gibt, einfach weil die Chancen fehlen. Auch bei Torpedo hatte ich bisher nicht den Eindruck, dass die mit Ball irgendwas groß anfangen können.

Das Stadion in ქუთაისი (Kutaisi) – verhältnismäßig gut besucht.

Ein paar Tage später hatte ich mir die Soviet Free Walking Tour gebucht, die sich im Rückblick nicht wahnsinnig gelohnt hat, weil ich die meisten Sachen und die Geschichten dazu schon kannte. Aber ein paar interessante Informationen möchte ich trotzdem mit euch teilen.

Das ist erstmal „nur“ ein Auto… Beim genaueren Hinsehen, handelt es sich allerdings um den Lada 1600 (Typ WAS-2106). Als der Lada 1600 rauskam, war er das hochklassigste Fahrzeug von Lada bzw. des eigentlichen Konzerns AwtoWAS. Später wurde er dann zum Einstiegswagen, bis die Produktion 2005 eingestellt wurde. Der Lada 1600 gilt auch als Russlands populärstes Automobil (glaubt man entsprechenden Wandkalendern ;) ).

Das ist der Eingang zum „Underground Printing House“.

Unter anderem ging es zum Underground Printing House. Eigentlich war ich da schonmal, allerdings hatte ich meine Kamera vergessen und deswegen habe ich bisher nicht davon berichtet, was ich an dieser Stelle nachholen möchte (die Fotos stammen teils von meinem Handy, deswegen sehen die teils etwas furchtbar aus). Diese unterirdische Druckerei ist der Inbegriff georgischer Museen (auch wenn es Ausnahmen wie das Ethnologische Museum gibt). Mittlerweile wird es wohl von der Nationalbibliothek des Parlaments betrieben, allerdings ist es ganz sicher noch immer mit der Georgischen kommunistischen Partei verbunden. Und natürlich spielt Stalin die zentrale Rolle für dieses „Museum“. Wie der Name schon sagt, handelt es sich um eine unterirdische, weil illegale, Druckerei, die Stalin in თბილისი (Tbilisi) höchstselbst als junger Revolutionär (und damals noch Iosif Jugashvili) im Jahre 1903 aufgebaut hat, um Propagandablätter zu drucken, die – angeblich – in die ganze Welt verschifft wurden, auch nach Deutschland. Ganz ehrlich, ich hab da meine Zweifel, ob davon nicht einiges auch Legende ist. Wie auch immer. So sah die Konstruktion aus:

Schematische Darstellung der 15 Meter tief gelegenen illegalen Druckerei. Wenn ihr das Bild vergrößert, müsstet ihr auch den englischen Begleittext zum „Museum“ lesen können.

So soll’s gewesen sein.

1906 wurde die Druckerei dann entdeckt, angeblich, weil ein Polizist ein Stück brennende Zeitung in den Brunnen geworfen hat und die dann vom Luftstrom des Tunnels eingesogen wurde, wodurch der Tunnel verraten wurde. Danach wurde die Konstruktion vollständig zerstört.

Von 1893 und aus Augsburg ist die Druckpresse, die in dem kargen Raum steht.

Nachdem Stalin an die Macht gekommen war, wurde das ganze rekonstruiert (vermutlich auch nicht original) und das kann man sich heute noch anschauen. Durch den vielen Regen die Wochen zuvor ist die Kammer mit einer der (angeblich) originalen Druckpressen, die übrigens aus Deutschland (Augsburg) stammen, überflutet gewesen, allerdings habe ich sie zum Glück schon bei meinem ersten Besuch besichtigen können.

Das ist der wiederhergestellte Druckraum. Da die schematischen Darstellungen alle sonst überhaupt nicht passen würden, gehe ich davon aus, dass es sich um keine originale Wiederherstellung handelt. Es gab an der Decke ein Luftloch (über dem Raum war ein Haus), über dem ein Tisch stand. Das war zum Lüften wichtig, gedruckt wurde schließlich mit hochgiftigen Stoffen. Allerdings wurde nur gelüftet, wenn es nicht zu laut war. Da nur nachts gedruckt werden konnte, hätte das sonst zu viel Lärm gemacht. Lärm ist auch der Grund, warum das ganze unterirdisch stattfand.

Warum sage ich so viel „angeblich“? In einer Diktatur sind Bilder, Narrative, ideologische Fundamentalisationen immer wichtiger als die Wahrheit. Ob die da wirklich das Originalzeug reingestellt haben, ob es das überhaupt noch gab, war einfach nicht der relevante Aspekt (die Erzählung, dass es so ist, natürlich schon).

Warum „sinnbildlich“ für georgische Museen? Weil Stalin natürlich nicht kritisch betrachtet, in diesem Falle sogar sehr verehrt wird.

Noch ein Bild. Die Flagge rechts ist die der Georgischen SSR (1951–1990), die Flagge rechts die der Sowjetunion (oder?).

Die meisten Besucher*innen kommen, wie auch in გორი (Gori), natürlich aus China. Die lustige Anekdote – naja, sie ist vor allem makaber, aber auch sehr lustig und ironisch – von den Stalin-Socken aus China, die von Chines*innen in Georgien gekauft werden, hatte ich schon im Blogbeitrag über Stalin erzählt.

An diese Orte wurden angeblich die hier gedruckten Propagandaschriften verschickt.

So, weiter geht’s mit der Sowjet-Tour. Unser Guide meinte, die beiden wichtigsten bzw. vertrauenswürdigsten Personen eines Diktators sind sein Koch und sein Arzt. Ich verstehe die Argumentation, aber vielleicht ist es auch mehr eine gute Erzählung – ich glaube, es kommt sehr auf den Einzelfall drauf an. Bei Stalin soll es jedenfalls so gewesen sein. Und ein Koch Stalins soll tatsächlich der Großvater Wladimir Putins gewesen sein. Ich hab das grade nochmal sehr kurz recherchiert und Wikipedia und der Focus sagen das auch, genauso wie der britische Stalin-Biograph Simon Sebag Montefiore in einem Welt-Interview. Es scheint also zu stimmen und nicht nur eine erfundene Geschichte Putins zu sein.

Das ist nicht das Haus dieses Kochs, sondern von Nikoloz Kipshidze, ein Therapeut, der gute Beziehungen zu Stalin hatte. Eigentlich hätte es im Zuge der Neuplanung der Rustaveli-Avenue abgerissen werden sollen (es steht direkt neben der Seilbahnstation zu მთაცმინდა, Mtatsminda), auf besonderen Wunsch Kipshidzes hin hat es Stalin aber gerettet. Das Haus heißt გაბაშვილის სახლი (Gabashvilis Haus). გაბაშვილი (Gabashvili) war ein Anwalt und Geschäftsmann.

Einige Straßen weiter steht ein Haus, das früher eine Kirche war – sehr sinnbildlich für die Sowjetunion, in der gerade in Georgien viele Kirchen zerstört oder anders genutzt wurden. Der Architektur nach war es sicher keine georgische Kirche. Zwischenzeitlich war es ein Lagerraum, heute befindet sich wohl ein Nachtklub drin. Diese Form der Geschichtsironie finde ich ja schon auch sympathisch – ganz ohne die kulturellen Verbrechen der Sowjetunion relativieren zu wollen.

NATO und EU sind omnipräsent – und im Hintergrund die beschriebene Kirche.

Dann fing die Besuchswelle an und zwar mit meiner Mama, die zusammen mit einer Freundin kam.

Das blaue Haus am გუდიაშვილის სადგური (Gudiashvili-Platz) ist ein sanierte Version der traditionellen georgischen Architektur. Das ist deswegen besonders, weil hier die allermeisten Altbauten eben nicht saniert sind, sondern eigentlich nur in einigen wenigen Touri-Ecken.

Wie zum Beispiel dieses hier. Ok, das war vermutlich auch eher Opfer der immer mal wieder stattfindenden Erdbeben in der Stadt. Häuser mit größeren Rissen fallen tatsächlich öfter auch. Wer sich erinnert: Auch die Kirchenruine in ავლაბარი (Avlabari) aus einem meiner ersten Posts, wurde Opfer eines Erdbebens. Das habe ich aber tatsächlich erst vor kurzem erfahren. Das letzte schwere Erdbeben war im April 2002.

Diagnose: Der Haussegen hängt schief.

Auch dieses Haus wird von tiefen Rissen zerteilt. Aber das hindert Menschen ja noch lange nicht daran, weiter darin zu wohnen.

Das ist die ნორაშნის ღვთისმშობელი (kurz: Norashen Kirche) von innen. Es ist eine ursprünglich armenisch-apostolische Kirche in თბილისი (Tbilisi), die lustigerweise direkt neben der georgisch-orthodoxen Kirche კალის ჯვარის მამა (Jvaris Vater Kirche – äh, keine Ahnung) steht. Die Kirche ist eigentlich aus dem 16. Jahrhundert, wurde aber während der Sowjet-Zeit außer Betrieb genommen und nach dem Zerfall der UdSSR von der georgisch-orthodoxen Kirche „übernommen” – allerdings auch nicht weiter genutzt. Bis heute gibt es wohl Streitigkeiten darum, weil die armenisch-apostolische Kirche sie eigentlich gern zurück hätte. Manche Georgier*innen sagen, sie sei illegal auf den Mauern einer georgischen Kirche gebaut worden – das ist aber nicht belegt. Nun ja, Streitigkeiten, wie man sie von zahlreichen anderen kulturellen Konflikten auch kennt. Die Kirche ist jedenfalls kulturelles Erbe. Wenn ihr noch mehr wissen wollt, hilft die englische Wikipedia.

Das war dann in der schon erwähnten Kirche nebenan. Es war gerade ein Gottesdienst. Hab ich schonmal von georgisch-orthodoxen Gottesdiensten erzählt? No front, aber ich kenne absolut nichts langweiligeres. Es gibt absolut keine partizipativen Elemente, nur reiner Wortgottesdienst (den man als Ausländer ja auch eh nicht versteht, was ja auch total ok ist) und es ist ein ständiges Gewusel, weil alle permanent kommen und gehen (und damit meine ich nicht Tourist*innen, aber die natürlich auch). Ist jetzt jedenfalls nicht die Erfahrung, die man unbedingt mal gemacht haben muss – meiner Meinung nach. Zumindest meine Spiritualität holt das definitiv nicht ab.

Hier sieht man sehr toll den Unterschied zwischen neu gemalt (bzw. restauriert) und alt.

Die Friedensbrücke kennt ihr schon.

თბილისი ევროპის დედაქალაქია! Heißt: Tiflis ist eine Hauptstadt Europas! Die Fahnen muss ich nicht erklären. Das Bild ist übrigens in der Nähe von meiner Wohnung in საბურთალო (Saburtalo).

Die Seilbahn kennt ihr noch nicht, obwohl ich die schonmal gefahren bin. Sie führt über eine Schlucht im Süden საბურთალოს (Saburtalos). Rechts vom Bild kämen jetzt einige meiner Uni-Gebäude, in denen ich eine Veranstaltung in diesem Semester gehabt habe, und außerdem die Hauptbibliothek meiner Uni. Die meisten Veranstaltungen hatte ich aber in einem ganz anderen Stadtteil. Auch wenn sie nicht so lang ist, finde ich diese Seilbahn viel schöner zum Anschauen als die am Turtle Lake, weil sie eigentlich immer total leer ist, da ein Brückenbau einige hundert Meter weiter ihre Nutzung obsolet gemacht hat. Man muss auch nur eine recht absehbare Zeitspanne warten, bis sie fährt (zehn Minuten) und nicht Ewigkeiten, weil nur acht Leute in die Seilbahn passen (wie beim Turtle Lake, die ist nur halb bis ein Drittel so klein). Außerdem ist sie näher bei mir.

Hier könnt ihr jetzt alles sehen, wovon ich gerade sprach: Links der höhere beigefarbene Block ist ein Gebäude meiner Uni, da sitzen die Wirtschaftswissenschaften. Auch der Gebäudekomplex davor gehört zu meiner Uni. Die Bibliothek schließt sich rechts davon direkt an (bzw. hinter einer großen Straße) – dieses quaderförmige Gebäude, was höher ist als die umliegenden. Die schicke rote Brücke ist nur für Fußgänger da, direkt daneben ist dafür eine vielbefahrene Autobrücke. Und auf der anderen Seite (von der aus das Bild auch aufgenommen ist), befindet sich direkt die Deutsche Schule von თბილისი (Tbilisi).

Und einmal der Blick in die andere Richtung: Ein schönes, grünes, recht unbebautes Tal.

Wem geht bei diesem Anblick nicht das Herz auf? An dieser Stelle dicke Empfehlung: „Gondola“ (siehe unten).

Fürs erste war es das. Es geht aber natürlich noch weiter, wir sind zeitlich nämlich gerade Ende Mai und es kommt noch der gaaaaaanze Juni und dann noch der gaaaaaanze Juli (da gibt’s aber vor allem Fahrtenbilder) und dann noch der halbe August. Und danach geht’s zurück. Etwas Zeit habe ich also noch, mich hier umzuschauen und euch dabei ein bisschen mitzunehmen. Seit lieb gegrüßt und habt es gut.

PS: Jetzt gibt es doch noch etwas hinten dran, denn ich habe den Titel noch gar nicht erklärt… Schon seit ein paar Monaten, spätestens aber mit dem Besuch meiner Mutter und dann noch mehr durch Christof und Claudia (kommt noch… ;) ) hat sich mein Blick auf diese Stadt verändert (wobei, eher das Bewusstsein, dass sich mein Blick geändert hat). Ich habe mich an vieles gewöhnt, aber schätze es auch wert. Es ist nicht mehr das Fremde, das Seltsame, was anders ist, als ich es gewohnt bin. Es ist etwas, was auch vertraut wird, was seine Daseinsberechtigung (in jedem Fall) hat, aber auch einfach gern von mir beobachtet wird. Ich glaube, der Frühling, das Grün zwischen meinen Häuserlabyrinthen, in denen ich wohne, hat da so viel verändert und diese Stadt, vor allem aber საბურთალო (Saburtalo), meinen Stadtteil, zu etwas lebenswertem werden lassen, in dem ich Dinge entdecke, die ich mag, die ich vermissen werde und die es so woanders auch einfach nicht gibt. Und mit Christof und Claudia (und teils auch Mama) waren dann auch Menschen da, die ähnliche Dinge toll finden, die zum Beispiel Brutalismus auch spannend finden und nicht (wie häufig) pauschal als hässlich abstempeln. Gemeinsam in თბილისი (Tbilisi) unterwegs zu sein, hieß dann auch, gemeinsam neue, tolle Dinge entdecken und Freude darüber teilen. Das hat richtig dolle gut getan.

Das war jetzt zeitlich eigentlich etwas zu früh, aber hat sich so gut angeboten. Ihr könnt auf jeden Fall schon auf einige tolle Sachen gespannt sein, die wir in den letzten Wochen entdeckt haben. Jetzt aber.

Aktuelle Empfehlungen

  • Der renommierte Zeithistoriker Ilko-Sascha Kowalczuk (sehr zu empfehlen seine jüngsten Bücher „Die Übernahme. Wie Ostdeutschland Teil der Bundesrepublik wurde“ und „Freiheitsschock. Eine andere Geschichte Ostdeutschlands von 1989 bis heute“) war im Podcast „Hotel Matze“ (ich kenne den eigentlich gar nicht). Es ist ein sehr langes Gespräch, aber lohnt sich sehr. Es geht vor allem um sein Hauptforschungsgebiet, die Aufarbeitung der SED-Diktatur und die Friedliche Revolution. Die Folge findet ihr überall, wo es Podcasts gibt und auch bei YouTube.
  • Film „Gondola“. Eine georgisch-deutsche Koproduktion über zwei Gondelfahrerinnen. Der Film ist queer, kommt ganz ohne gesprochenes Wort aus und ist einfach nur großartig. Ich weiß noch, als Nele und ich den im Capitol in Marburg gesehen haben, saßen noch zwei Freund*innen mit im Saal, die ich ganz herzlich grüßen möchte, falls sie gerade mitlesen: Heinrich und Anja. Den Trailer gibt’s auf YouTube, den Film kann man beim Verleih streamen.