Lagodekhi

Georgien
News
Autor:in

žuk

Veröffentlichungsdatum

4. August 2025

Es ist wieder Fahrtenzeit! Ich hatte einiges vor in den folgenden Wochen. Keine große, zusammenhängende Fahrt, sondern mehrere kleinere. Dieses Land ist viel zu schön und vielfältig, als sich auf eine Region festzulegen, auch wenn das natürlich auch ginge. Und so war meine erste Station ლაგოდეხი (Lagodekhi), das ihr schon aus meinem Blogpost „Zeit für mich“ kennt. Damals bin ich zu zwei Wasserfällen gewandert. Nun stand eine mehrtägige Wanderung an, ebenso im Nationalpark-Gebiet.

Der ლაგოდეხის სახელმწიფო ნაკრძალი (staatlicher Lagodekhi-Nationalpark) liegt im Dreiländereck Georgien, Russland, Aserbaidschan, ganz im Osten Georgiens. Er ist UNESCO Naturdenkmal und der älteste Nationalpark, nicht nur in Georgien, sondern im gesamten Kaukasus sowie der Sowjetunion, gegründet 1912. Es gibt eine sehr ausgeprägte Flora und Fauna, auch Wölfe, Luchse, Braunbären, Ture und Gämsen. Von denen habe ich leider nichts gesehen. Raubvögel schon, aber die kann ich nicht bestimmen. Es gibt jedenfalls auch Eulen, Wanderfalken, Steinadler und Bartgeier.

Auf geht’s!

Gestartet bin ich gegen zehn auf 574 Höhenmetern, die erste Tagesetappe lag auf 1.930 Höhenmetern. Auch hier gibt es übrigens Shelter, in denen für 25 Lari übernachtet werden kann. Oder man nimmt wie ich das Zelt, dann sind’s nur 5 Lari. Im Nationalparkzentrum gibt es sogar eine Person, die Deutsch spricht und mich als Pfadfinder erkennt (ich laufe auf Fahrt meist mit Halstuch rum). Es gab wohl eine Kooperation mit irgendeiner Behörde in Bayern und darüber waren wohl auch regelmäßig Pfadfinderlager von deutschen und georgischen Padfinder*innen hier. Spannend! Und die Frau wäre fast als Uni-Mitarbeiterin an den Lehrstuhl von einem Marburger Biologie-Professor gekommen. Das ist mal ein Zufall.

Der erste Teil der Strecke geht durch einen satten Mischwald.

Grundsätzlich war der Weg super markiert und ausgeschildert. Nur am Anfang bei der Überquerung des obigen Flusses gab es eine falsche Markierung, die mich kurz vorm Aufstieg ganz schön viel Kraft gekostet hat, weil ich keinen Weg über den Fluss gefunden habe. Irgendwann bin ich umgekehrt und bin den anderen, nicht markierten Weg gelaufen, der dann über die Brücke führte.

Stets begleitet werde ich von drei Straßenhunden. Die kenne ich teilweise sogar schon von meiner einen Tour im Dezember. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die nicht mitkommen, um Essen von Touristen zu bekommen, das bekämen sie am Wasserfall viel einfacher, denke ich. Das sind einfach drei Wandersocken, die Spaß am Wandern haben und an der Gesellschaft mit Menschen. Hunde sind super soziale Tiere und natürlich genauso vielfältig interessiert, wie das bei Menschen auch der Fall ist. Ich finde das sehr cool. Mir wurde auch bestätigt, dass die quasi bei allen Wanderern mitgehen.

Immer mit dabei…

Dann touchiere ich langsam die Baumgrenze. Ich schätze, sie liegt hier bei ca. 2.000/2.100 Metern, der Shelter liegt auf 1.930.

Alles Nationalpark.

Allein auf Fahrt sein ist anders. Es gibt viel mehr Zeit, gefühlt ist weniger zu tun. Einerseits, weil ich ein recht zügiges Tempo habe und dadurch recht schnell vorankomme. Da es durch die Shelter feste Etappen gibt, habe ich entweder mehr Pausenzeit zwischendurch oder am dann am Shelter. Und andererseits, weil es quasi keine Abendbeschäftigung gibt. Um Gewicht zu sparen, habe ich keinen Trangia dabei, es gibt einfach Brot und Wasser-Müsli. Ich brauche keine Zeit zum Kochen und wenn es dunkel ist, kann ich eh nichts mehr sehen. Bin ich mit einer Gruppe auf Fahrt, haben wir immer eine Gitarre dabei, dann wird bei Kerzenlicht noch gesungen oder gequatscht. Allein schreibe ich vielleicht noch Fahrtenbuch und dann gehe ich schlafen, gegen 21 Uhr, wenn es schon stockfinster ist.

Die Dämmerung fällt…

Kurz vorm Shelter überholt mich ein Russe, der vorm Krieg nach Georgien geflohen ist. Er ist um 13 Uhr losgelaufen und hat mich überholt. Er hat zwar leichteres Gepäck, da kein Zelt, aber trotzdem ist das ganz schön krass. Auch die zwei Georgier übernachten am Shelter. Sie hatten arge Wasserprobleme und werden morgen wohl zurückgehen. Bei mir war’s auch knapp, aber trotzdem ausreichend. Mit einem der beiden, der in Schweden lebt und gut Englisch spricht, quatsche ich. Wieder einmal wird mir bewusst, dass ich dauernd mit Menschen über Politik rede. Nicht, weil ich das so forciere, die Überleitung kommt immer vom Gegenüber und immer über mein Studienfach. Yana hat mir gestern aber auch gesagt, dass Georgier*innen auch sehr gerne als Smalltalk-Thema über Politik sprechen. Jedenfalls hatte die Person interessante Ansichten. Zum Beispiel wollte sie, dass wenn der Abkhasien-Konflikt gelöst wird, dass alle Abkasier*innen die Region für die Zeit verlassen müssen, in der die vertriebenen Georgier*innen sie nicht betreten durften. Stand jetzt wären das dreißig Jahre. Ich meine, klar ist das eine Art der Gerechtigkeit, aber Konfliktlösung funktioniert so definitiv nicht. Ich will diese Einzelmeinung nicht generalisieren, aber ich finde, dass sie gut illustriert, warum dieser Konflikt überhaupt existiert (neben anderen Gründen natürlich): Weil beide Seiten nicht groß bereit sind, sich aufs Gegenüber einzulassen. Ich will nicht sagen, dass das keine Gründe hätte und „unberechtigt“ geschähe. Aber in vielen derartigen festgefahrenen Konflikten ist das so (Bergkarabach, Israel/Palästina, Georgien/Abkhasien,…).

Einer der Hunde, auch ihn kannte ich schon aus dem Dezember, hat es sich derweil in der Feuerstelle gemütlich gemacht.

Schick, oder?

Der nächste Tag beginnt früh – auch das ein Nebeneffekt des Alleinreisens durch das frühe Schlafengehen – und wird Höhe, Weite und Wasser bringen. Es wird bis auf 2.870 Meter hinauf gehen, zum Black Rock Lake, also zum Schwarzfels-See. Der liegt genau auf der georgisch-russischen Grenze, die, soweit ich gehört habe, exakt in der Mitte des Kaukasus verläuft. Der Shelter liegt dann auf 2.700 Metern Höhe. Aufgrund der Nähe zur russischen Grenze, wird im Nationalparkzentrum ein Papier ausgestellt, das ich an einem Wachtposten des georgischen Militärs in eine Art Passierschein umtauschen muss. Ich bin sehr gespannt, wie das wird. Früh geht’s los und schon bald ziehen Wolken an mir vorbei.

Nebel kriecht den Berg hinauf und hüllt die Welt mit Rauch…

Der Weg ist schön und durch den entlohnenden Ausblick gefühlt viel weniger anstrengend als gestern.

Und es gibt unheimlich viele Fliegen und Insekten, die vermutlich durch den Schweiß an mir „hängen“ bleiben. Das hab ich woanders bisher noch nie erlebt.

Der Pfad vernebelt, Wolken ziehn herauf…

Hinauf, hinauf, nur rasch dem Nebel nach!

Der Grenzposten, nebenan ein Dieselgenerator. Im Zelt stehen einige Hochbetten, Waffen lehnen daran. Kurze Passkontrolle und weiter geht’s.

Es gibt unheimlich viele wunderschöne Schmetterlinge hier!

Tief unten grüßen Bäume uns von fern…

Und dann ist es geschafft, der Black Rock Lake liegt vor mir. Alles auf der anderen Seite ist Russland.

In meinem Reiseführer ist die Rede von einem „kurzen obligatorischen Bad“. Ich finde es schon erstaunlich, dass im doch eher mainstreamigen Reiseführer vom Verlag Reise Know-How diese doch sehr harte Tour drin ist (in meinem Rother Wanderführer allerdings nicht). Am ersten Tag gleich mal 1.500 Höhenmeter und dann noch zwingend mit Gepäck – das ist echt nicht für jede*n was. Um ehrlich zu sein, bin auch ich ganz schön an meine Grenzen gekommen, was sicher auch an meinem nicht perfekten Fitnesslevel lag. Vor einigen Tagen habe ich deutlich mehr Höhenmeter an einem Tag gemacht, ohne alle 150 Höhenmeter komplett kaputt eine Pause machen zu müssen. Wie auch immer, mit obigen Worten im Kopf hatte ich mich schon aufs „obligatorische“ Bad gefreut (ich finde den Wortlaut auch wirklich lustig), und dann erwartete mich ein Schild vorm See, auf dem stand: „Swimming is not recommended“. Es ist wirklich herrlich, ich hätte mich totlachen können. Leider habe ich kein Foto davon gemacht.

Nun ja, am See habe ich den Russen wiedergetroffen, der übrigens Pavel heißt. Netter Kerl, nicht sehr redselig, aber nett. Ich war dann natürlich noch im See, auch wenn es nicht empfohlen wird. Wobei ich nicht von Schwimmen sprechen würde, es war eher untertauchen und schnell wieder raus, denn das Wasser war erwartungsgemäß eisig kalt.

Schwimmen wird „nicht empfohlen“.

Nach ausgiebiger Pause ging es weiter Richtung Shelter.

Ein Blick zurück. Hinter dem Hügel vorne links ist der See.

Im Gegensatz zum ersten Tag, der vor allem im Wald war, fand ich den Weg am zweiten Tag so viel schöner, viel mehr auf der Höhe, aber auch ab und an mal hoch und runter. Vor allem aber eigentlich immer tolle Aussichten und auch eine sich immer wieder verändernde Berglandschaft. Für diesen Tag hat sich der Aufstieg zuvor wirklich sehr gelohnt.

Der Weg auf der Höhe war wunderschön.

Hier kann man sogar leicht den Shelter erkennen. Seht ihr ihn?

Die Markierung war übrigens sowohl blau als auch rot. Irgendwie ein bisschen wild.

Sobald die Sonne hinterm Berg verschwunden ist, kühlt es ab. Mit 2.700 Metern liegt der Shelter deutlich über der Baumgrenze und das ist wirklich spürbar. Gut, dass ich meinen guten Schlafsack dabei hab, diese Nacht werde ich ihn definitiv brauchen.

Auch der Hund hat sich schon eingemurmelt. Jede Nacht lagen ein oder zwei der Hunde direkt vor meinem Zelt und bewachten mich. Das ist wirklich sehr, sehr süß.

Und der Schlingel hier hat mir meine Salami geklaut, die ich von den beiden Georgiern geschenkt bekommen hatte. Ich war Fahrtenbuch schreiben weiter hinten und Pavel grade im Haus. Das war einfach nicht so klug, die Wurst da noch rumliegen zu lassen. Nun gut, ich hoffe, sie hat wenigstens geschmeckt.

Wie erwartet war die Nacht sehr frisch. In den Morgenstunden war mir sogar etwas kalt. Am nun dritten Tag sollte es von den 2.700 Metern auf die ursprünglichen 580 Meter runter gehen. 2.120 Höhenmeter nur bergab, alter Falter, das ist wirklich super anstrengend. Bevor es aber richtig runter in den Wald ging, gab es aber noch ein bisschen Aussicht zu genießen.

Letztlich bin ich gesund und sehr kaputt unten angekommen. Kleiner Spoiler: Am nächsten Tag hatte ich Muskelkater ohne Ende. In ლაგოდეხი (Lagodekhi) gab es just an diesem Tag ein Blues-Festival, bei der die Tochter von B.B. King spielen sollte. Ich musste mich entscheiden: Bleibe ich noch eine Nacht in unfassbarer Hitze und gönne mir ein schickes Blues-Konzert oder fahre ich zurück nach თბილისი. Ich war sehr kaputt, schließlich auch schon seit sieben Uhr auf den Beinen und so entschied ich mich für zurückfahren. Zumal ich auch sehr viel Lust auf Börnel-Lieder in unser Liederpool-Projekt übertragen hatte. Und so ging es zurück nach თბილისი. Es war eine sehr schöne Fahrt. Ich hoffe, ihr genießt den Sommer, habt es gut und bis bald!