Marschrutkas

Georgien
News
Autor:in

žuk

Veröffentlichungsdatum

18. November 2025

Georgien liegt mittlerweile nicht nur 3.000 Kilometer hinter mir, längst sind drei Monate vergangen, seit ich das Land verlassen habe. Und so viel ist passiert seitdem… Trotzdem möchte ich noch die Gelegenheit nutzen, von ein paar Dingen aus Georgien zu berichten, solange die Erinnerungen daran nicht vollends verschwimmen. Darüber hinaus fehlen ja auch noch meine Rückreise-Berichte, die zwar schon allesamt fertig geschrieben sind, wo ich aber noch nicht zum Fotos aussortieren gekommen bin.

Und so erzähle ich euch heute von Marschrutkas. Im Blog habe ich größtenteils den Terminus „Marshutka“ benutzt, weil die Georgier*innen das eine r nicht mitsprechen (was ich zu Beginn sehr schade fand, denn ich finde den Klang von „Marschrutka“ einfach sehr toll). Ich glaube, geschrieben wird es trotzdem „Marschrutka“. Laut Wikipedia sind Marschrutkas „Routentaxis“, ich hab es immer mit Kleinbussen oder Minivans übersetzt. Sie gehörten zum ÖPNV und verkehren auf festen Linien, wobei nur die Anfangs- und Endhaltestelle manifest ist, während sich alles dazwischen eher latent verhält. Oder anders gesagt: Die halten, wo man es grade braucht (gesetzt dem Fall, man weiß, wo sie lang fahren).

Blick aus der Marschrutka.

Die größte Herausforderung bei Marschrutkas ist, dass in der Regel nicht so einfach herauszufinden ist, wann sie fahren. Zwar gibt es feste Abfahrtszeiten, die teilweise an den Stationen (womit ich Anfangs- und Endhaltestelle meine) aushängen, allerdings fahren sie auch einfach, wenn sie voll sind. Das mag auf den ersten Blick sehr unpraktisch erscheinen, aber eigentlich verändert es nur ein bisschen, die Art zu reisen. Meist gibt es genug Alternativen und wenn man eine Marschrutka bekommen muss, dann gibt es Mittel und Wege, dies zu erreichen.

Marschrutka-Bahnhof დიდუბე (Didube) in თბილისი.

Ich erkläre den Ablauf mal an einem Beispiel, dann ist es vielleicht anschaulicher. Wenn ich von თბილისი (Tbilisi) nach ქუთაისი (Kutaisi) fahren will, dann fahre ich erstmal zu einer der beiden großen Marschrutka-Bahnhöfen in თბილისი (Tbilisi). Die allermeisten Marschrutkas, nämlich alle die, die die Stadt über die nördliche Zufahrtsstraße verlassen (u.a. სტეფანწმინდა (Stepantsminda), ქუთაისი (Kutaisi) und der gesamte Westen), fahren vom Marschrutka-Bahnhof დიდუბე (Didube), der direkt an der gleichnamigen Metro-Station liegt. In დიდუბე (Didube) angekommen, muss man ein bisschen suchen und Leute fragen, wo die Marschrutka nach ქუთაისი (Kutaisi) fährt. In der Frontscheibe der Minibusse liegen auch immer Schilder mit dem Zielort – allerdings häufig auch nur auf Georgisch. Dann schaut man, ob noch Platz ist, sucht sich einen Platz, kauft irgendwo ein Ticket (der Fahrer weiß, wo) und wartet, bis die Marschrutka sich füllt. Und wenn sie dann voll ist, geht’s los.

Im Innern einer solchen Marschrutka kann es ganz verschieden aussehen. Es gibt hochmoderne Marschrutkas mit Klimaanlage und viel Platz, es gibt aber auch ultra enge Marschrutkas ohne Klimaanlage, in denen es wirklich schwer auszuhalten ist. Experimentell ist auch der Fahrstil des Fahrers (das gendere ich hier bewusst nicht, denn ich habe während meines gesamten Jahres keine einzige weiblich gelesene Person auf dem Fahrersitz einer Marschrutka gesehen). Oft sind diese Fahrzeuge nicht in angemessenem Tempo unterwegs, wilde Überholmanöver gehören zum Tagesgeschäft und Anschnallgurte genießen auch kein hohes Ansehen, sofern sie überhaupt vorhanden sind.

Pause gemacht wird im Schnitt nach zwei bis drei Stunden Fahrt. Oft sind es immer dieselben Stellen, an denen Pause gemacht wird. Dort gibt es dann etwas zu Essen und eine Toilette (von grausiger Hygiene, das gilt leider für alle Marschrutka-Toiletten). Der Rastplatz hier liegt zwischen ქუთაისი (Kutaisi) und თბილისი (Tbilisi).

Die Route, die die Fahrer fahren, ist vermutlich immer dieselbe, denn häufig werden unterwegs noch Menschen eingesammelt. Georgier*innen haben in der Regel die Nummer des Fahrers und telefonieren dann während der Fahrt mit ihm, wann sie sich am besten rausstellen können, um eingesammelt zu werden. Grundsätzlich kann man von jeder Marschutka, die an einem vorbeifährt, eingesammelt werden, auch ohne anrufen. Aber wenn die voll ist, kann es auch sein, dass sie nicht anhält. Und „voll“ ist auch sehr relativ, häufig bedeutet das, es gibt keine Stehplätze mehr. Für sehr sicherheitsbedürftige Menschen nicht so ganz zu empfehlen.

Marschrutka-Bahnhof in ქუთაისი (Kutaisi).

Das tolle ist, dass es quasi überall Marschrutkas gibt. Sie sind sehr preiswert und man wird nicht über den Kopf gehauen (die Gefahr gibt es bei Taxis sehr). Es ist nicht wirklich eine bequeme Art zu reisen und bei mir hat es auch etwas meinen Reisestil verändert. In Deutschland war ich (und bin ich jetzt auch wieder) immer abhängig von den Fahrplänen der Bahn, in Georgien hab ich häufig einfach nicht auf Fahrpläne geachtet (oder achten können), sodass ich meist losgefahren bin, um die nächste Marschrutka in meine Richtung zu nehmen. Das hat nicht immer funktioniert, aber war auch eine viel entspanntere Art zu reisen, weil ich keinen zeitlichen Druck hatte, nur das Ziel, am Ende anzukommen. Das geht bei längeren Strecken nicht, aber oft genug hat es sehr gut funktioniert.

Meine vorletzte Marschrutka-Fahrt führte mich von თბილისი (Tbilisi) kurz vor ჩოხატაური (Chokhatauri). Die Marschrutka wäre auch noch weitergefahren nach ნაბეღლავი (Nabeghlavi), wo das berühmte Mineralwasser herkommt.

Irgendwann zum Ende hin habe ich dann eine wahnsinnig tolle Seite gefunden: „Georgian Marshrutka“. Da werden ganz viele (vermutlich fast alle) Marschrutka-Linien Georgiens aufgelistet mit Abfahrtszeiten etc. Das hilft enorm, aber verlassen kann man sich nie darauf. Eine sehr sichere Quelle für Abfahrtszeiten sind die Gastgeber in Guesthouses, die in der Regel sehr gerne Marschrutka-Plätze reservieren oder aktuelle Abfahrtszeiten erfragen.

Jetzt habe ich einiges erzählt und in einigen Blogbeiträgen (z.B. hier und hier) konntet ihr auch schon lustige Storys über Marschrutkas lesen, allerdings kommt nun die schlechte Nachricht: Meinen Informationen nach wird es Marschrutkas nicht mehr lange geben. Ich kann gerade leider keine aktuellen Informationen herausfinden, aber aus Sicherheitsgründen sollen Marschrutkas durch ein mehr reguliertes Bussystem ersetzt werden. Das sollte eigentlich schon zum Juli 2025 passieren, wurde dann aber auf Januar 2026 verschoben. Auf der einen Seite gibt es sicher gute Gründe dafür, auf der anderen Seite geht damit auch ein Stück Reisekultur verloren und ein nächster großer Schritt auf dem längst beschrittenen Pfad der Touristisierung und Verwestlichung Georgiens (wobei ich beide Begriffe explizit nicht gewertet verstanden wissen will) wird gegangen.

Ich glaube, das war das wichtigste. Falls ihr mehr wissen wollt, kann ich den Wander-Lush-Guide für Marschrutkas sehr empfehlen, da gibt es auch noch viele tolle Bilder und mehr Informationen.

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